WESTBÖHMEN - Herkunftsgebiet der Bewohner der deutschen Sprachinsel Machliniec in Ostgalizien

Quelle : Josef Schön, Stumsdorf, veröffentlicht im "Zeitweiser 2001"


Die Besiedlung der deutschen Kolonie Machliniec

 

Im Jahre 1823 kamen neue deutsche Siedler nach Ostgalizien. Sie kamen mit Pferd und Wagen, mit Handwagen und mit ihren Familien. Der polnische " Grundherr " von Daszawa bei Stryj hatte in ihrer Heimat die Nachricht verbreiten lassen, dass er ihnen Ackergründe und Hutweiden für eine Besiedlung zur Verfügung stellen wolle. Als sie den Vertrag unterschrieben hatten, erfuhren sie, dass es sich um ein Urwaldgebiet handelte, das sie erst urbar machen mussten. Ein zurück in die alte Heimat gab es nicht. Sie hatten dort ihr Hab und Gut verkauft, um sich im neuen Gebiet einkaufen zu können und die dreiwöchige beschwerliche Reise, die sie hinter sich hatten, war nicht sofort noch einmal zu bewältigen. So blieben sie. Ohne staatliche Hilfe oder die Unterstützung des Grundherren, begannen sie den ihnen zugewiesenen Urwald zu roden. Mit zähem Willen und oft bis an die Grenze der Leistungsmöglichkeit gehend, natürlich auch mit großen Entbehrungen, schufen sie sich eine Lebensgrundlage. Der Ort Machliniec, am Flüsschen Machlinka erbaut, liegt ca. 80 km südlich von Lemberg und 20 km von der Kleinstadt Stryj entfernt. Die anfangs 50 Siedler holten in den nächsten Jahren Freunde und Verwandte aus der alten Heimat nach und versorgten in der Folgezeit ihre Kinder mit Grund und Boden. So entstand um den Mittelpunkt Machliniec eine deutsche Sprachinsel mit den rein deutschen Dörfern Kornelowka (um 1830) und Kontrowers (um 1899) und mit den deutschen Einsiedlungen in Nowe Siolo (um 1830), Izydorowka (um 1830) und Wola Cblaznicka (um 1868). Man sollte hier wohl auch die Dörfer Lubsa (um 1830) und Mazurowka (um 1830) nennen, auch wenn sie nicht zum Kirchdorf Machliniec gehörten. Die dort lebenden Deutschen stammten aus der gleichen Gegend wie die Machliniecer.

1939 lebten etwa 1700 Deutsche in der Sprachinsel Machliniec in Ostgalizien. (Nach Walter Kühn " Die jungen deutschen Sprachinseln " Heft 26/27 " Ein Beitrag zur Methode der Sprachinselforschung ", Münster 1930)

 

2. Das Herkunftsgebiet der deutschen Siedler von Machliniec und Umgebung, der „Deutschböhmen“

2.1 Lage des Herkunftsgebietes und seine Wirtschaft

 

Die um 1823 in Daszawa bei Stryj angekommenen Siedler sprachen eine andere deutsche Mundart als die Deutschen, die in der Umgebung bereits lebten. Sie kamen nicht aus dem Südwesten Deutschlands, sondern aus Böhmen, einem Land im Herzen Europas. Die Heimat der Sudetendeutschen in Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien sowie der Karpatendeutschen in der Slowakei

Die Heimat in Böhmen

Dieses Land Böhmen gehörte unter der Herrschaft der Habsburger von 1526 bis zum Ende des l, Weltkrieges 1918 zur ehemaligen Österreichischen Monarchie. Seine deutschen Bewohner wurden zur Abgrenzung anderer deutscher Bewohner Österreichs " Deutschböhmen " genannt. Erst nach dem Zerfall des Österreichischen Kaiserreiches 1918 und der Gründung der l. Tschechischen Republik, die die Bezeichnung deutsch für ihre Länder verbot, wurden die Namen Deutschböhme, Deutschmährer usw. durch den Sammelbegriff Sudetendeutsche ( nach einem Randgebirge " Sudeten " im nördlichen Böhmen und Mähren ) ersetzt.

Die Machliniecer Siedler kamen aus Westböhmen, in ihrer Mehrheit aus dem Egerland ( siehe Karte ), nur einige Wenige aus dem südlichen Böhmerwald. Ihre Vorfahren waren mit der von Deutschland ausgehenden Christianisierung Böhmens im 9. und 10. Jahrhundert von Waldsassen, Regensburg und Passau aus über das Gebirge gekommen. Ab dem 12. Jahrhundert riefen auch böhmische Landesfürsten systematisch deutsche Siedler ins Land, vorwiegend Bauern, die hier aus dem noch vorhandenen Urwald Neuland schufen. Man rief auch Handwerker, Baumeister und Kaufleute, die Städte und Dörfer gründeten. Ihnen folgten Bergleute, die die reichlich vorhandenen Erzgruben erschlossen. Mit den Siedlern kam auch die bayrische Mundart nach Böhmen. Im Laufe der Jahrhunderte entwickelte sich jedoch eine eigene Mundart im Egerland, das " Egerländische ". Die Einwohner der Machliniecer Sprachinsel bewahrten diese ihre Mundart bis in die Gegenwart. Mir selbst ist sie auch noch geläufig. Unter dem Egerland versteht man das Gebiet entlang der bayrischen Grenze vom Ascher Zipfel im Nordwesten, östlich bis Karlsbad verlaufend, in einer Linie südöstlich bis zur tschechischen Sprachgrenze bei Pilsen und zum Gebiet von Staab und Bischofteinitz. Im Süden wird das Egerland vom Gebiet um Taus, dem " Tor zum Böhmerwald " begrenzt. Drei Handelswege durchquerten das Egerland von West nach Ost ständig, auch während der Zeit des Kommunismus in Böhmen: Von Schirnding über Eger nach Prag, von Waidhaus über Roßhaupt, also südlich von Tachau nach Pilsen und Prag und von Furth im Wald über Taus nach Pilsen und weiter nach dem Osten. Die Grenze zu Bayern wird von der Tauser Senke bis an die Stadt Eger heran durch die Urgesteinsrücken des nördlichen oder niederen Böhmerwaldes gebildet. Es sind lange, dicht bewaldete Kämme, die nach Osten zur Sprachgrenze hin abfallen und dort mehr einem Hügelland ähneln.

Blick von Böhmen nach Bayern 1992

Neben den inzwischen künstlich angelegten Seen, gibt es im Egerland viele natürliche Teiche und kleine Seen, die schon zur Zeit der Auswanderung unserer Vorfahren der Fischwirtschaft dienten. Auch viele kleine Bäche prägen die Landschaft. Drei Flüsse sind zu erwähnen: Im Norden die im Fichtelgebirge entspringende Eger, die die Städte Tachau und Mies durchfließende Mies und im Südosten die Radbusa.

Regierungsbezirk Eger

Die Geschichte Westböhmens besagt, dass neben der Landwirtschaft und der Holzwirtschaft in vielen Gebieten bis vor 200 Jahren Bergbau betrieben wurde. So bei Dreihaken, dort wurde Kupfer und Silber abgebaut. Silber auch bei Mies. Beim Bergstädtchen Michelsberg waren sogar 52 Zechen in Betrieb, die ebenfalls Kupfer und Silber, daneben Blei und sogar kleine Mengen Gold gefördert haben. Südöstlich von Mies fand man Steinkohle und entwickelte damit in der Nähe von Mies und Staab ein Industriegebiet. In meinem Elternhaus in Nowe Siolo wurde noch mit einer " Holmmaschii " aus der Stadt Mies Stroh und Heu gehäckselt. Um Tachau waren die Landwirtschaft und die Holzwirtschaft beheimatet und beim Städtchen Hostau betrieb man Pferdezucht. Zu Beginn des 1. Weltkrieges wurden 2 Gestüte aus Galizien dahin verlegt, ein Beweis, dass bis dahin eine enge Verbindung zwischen den Machliniecern und ihrer alten Heimat bestand. Als der Bergbau versiegte, versuchten die Bewohner ihren Broterwerb durch Heimarbeit zu sichern. Spitzenklöppeln, Spinnen und Weben, Knopf- und Perlenherstellung aus Holz, Holzspielzeug und auch die Glasherstellung wurden versucht. Der Erfolg war gering und die Familien zu dieser Zeit sehr kinderreich. Junge Leute gingen deshalb als Saisonarbeiter " ins Land " dahin, wo in Böhmen Hopfen angebaut wurde oder Zuckerrüben besondere Pflege brauchten. Das Angebot, in ein noch unbesiedeltes Gebiet zu gehen und neu zu beginnen, kam sicher vielen jungen Menschen sehr gelegen.

2. 2. Die Herkunftsorte der Siedler von Machliniec und Umgebung nach Ernst Hexel " Einwohner der deutschen Sprachinsel Machliniec in Ostgalizien ", ( Zeitweiser von 1991 ), ergänzt durch andere Veröffentlichungen im " Zeitweiser der Galiziendeutschen ", z.B. Ansiedlungsverträge und durch persönliche Informationen

Nach mündlicher Überlieferung diente um 1820 der Kavallerist Christoph Angermann aus Westböhmen in einem Gestüt bei Stryj. Ihn beauftragte der eingangs erwähnte Gutsherr von Daszawa, in seiner Heimat Siedler für Ostgalizien zu werben. Belegt wird diese Aussage durch die Tatsache, dass eine Familie Christoph Angermann aus Labant bei Tachau zu den ersten Ansiedlern in Machliniec zählte und die meisten ersten Bewohner der jungen Sprachinsel aus dem Gebiet um Tachau stammten. ( Siehe Karte Seite 4 ) Rolf Kitsch " Westböhmen - unvergessene Heimat ", Flechsig - Buchvertrieb, Adam Kraft Verlag Würzburg 1999 Verschiedene Ursachen erschweren einen genauen Nachweis hinsichtlich der Namen der Siedler und ihrer Herkunftsorte. So : - verließen die späteren Bewohner von Machliniec und Umgebung nicht den Staat (Galizien gehörte ja von 1772 - 1918 zu Österreich). Man musste bei der Umsiedlung zwar eine mündliche Freigabe von der " Obrigkeit ", dem Grundherrn haben, jedoch keinen Heimatschein (in dieser Zeit, in diesem Gebiet ähnlich unserem Ausweis), der exakt den Namen und den Herkunftsort trägt; - von 1823 - 1862 waren diese Deutschböhmen zur polnischen katholischen Kirche in Kochawina bei Stryj eingepfarrt. Die polnischen Pfarrer konnten sicher nicht alle deutsch und die Egerländer sprachen in den meisten Fällen nur ihre Mundart oder schrieben kurrent ( deutsch ). So wurde in die Kirchenbücher das eingetragen, was man verstand. Das Gleiche trifft auch bei Aufzeichnungen mit den Gutsbesitzern, z.B. bei Ansiedlungsverträgen zu. - auch nach 1862 wurde von verschiedenen Pfarrern der Kirche in Machliniec das Tauf- und Trauregister polnisch geführt und bei - Umzügen innerhalb der Sprachinsel, z„B. bei Eheschließungen oder Ortswechsel aus anderen Gründen, wurden die Herkunftsorte in Böhmen nicht mehr genannt. So kam es, dass der Familienname Keim einmal mit „ai“ und auch mit „ei“ eingeschrieben wurde, dgl. beim Namen Weidl. Auch Terfler statt Dörfler, Briml statt Bäuml, Paternik statt Peternek. Die Liste könnte beliebig verlängert werden. Herr Johann Bill schrieb in einem " Zeitweiser " in einem Artikel über Machliniec: " Unter den Namen der damaligen Ansiedler, die die Vollmacht unterschrieben 4 , erscheint ein Wenzl Bühl, woraus später infolge falscher Eintragung im Geburts- und Taufregister zu Kochawina Bill entstand - es handelt sich um seinen eigenen Namen ! Ähnlich ist es bei den Herkunftsorten. Im Ansiedlungsvertrag von Kornelowka, z.B. steht Johann Pessek aus Roßhaus, statt Fersak aus Roßhaupt, der Ort Kügelberg, statt Ringelberg, Schuldenkotten, statt Hinterkotten - um auch hier einige Beispiele zu nennen. Unsicher ist auch manchmal, aus welchem Ort die Bewohner der Sprachinsel Machliniec tatsächlich kommen. Es gibt z.B. ein Neudorf in der Nähe von Dreihaken und ein Neudorf bei Roßhaupt, ein Heiligenkreuz bei Plan und eines bei Hostau. Nach Auswertung der genannten Übersicht von Ernst Hexel und anderer Veröffentlichungen im Zeitweiser der Galiziendeutschen zu dieser Problematik, sowie nach persönlicher Information - auf die ich noch einmal zurückkomme, können die folgenden Angaben als gesichert gelten:

Namentliche Aufstellung nach Herkunftsort (ergänzt und korrigiert von Rosa Markl, geb. Reiter)

Herkunftsort (deutsch) Herkunftsort (tschechisch) Vorname Name
Albersdorf Pisarova Vesce Fleissner/ Fleißner, Würl, Wirl
Albersdorfer Brand Pisarova Milire Rehmann, Weidl/Weidel, Schmid, Standfest, Stich
Altwasser Stara Voda Böhm, Feiler, Lorenz
Brand / b. Tachau Milire Bauer, Görstner/Gerstner, Sollner, Mayer, Rehmann
Dianaberg Diana Fleissner/Fleißner
Dreihaken b. Tachau Tri Sekery Mühlbauer, Stark, Thürl, Böhm, Zeidler, Hartmann
Galtendorf Branka Stich, Christl, Träger
Gottschau Kocov Menzl/Menzel, Pabla/Pawlik, Sieber
Hals Halze Stich, Bauer, Prater, Janesch, Waigl
Hradzen ( bei Staab ) Hradec Vogl/Vogel
Hesselsdorf Hostka Terfler/Dörfler, Putzlocher
Hinterkotten Zadni Chodov Roth, Jenner
Heiligenkreuz Chodesky Ujezd Scherbaum, Bill, Sollner, Merz/März, Bauer, Christl, Felbinger
Haslau bei Eger Hazlov Goldschalt/Goldscheidt
Hirschfeld bei Eger Polna Gottschalt/Goldscheidt
St. Katharina Katerina Thürmann, Schwarzenberg, Ranzaug/Ranzau
Königswarth Lazne Kynzvart Daniel, Köstler, Höttl/Hettel, Burger, Bittner/Pittner, Röhling/Röhl, Jäger, Zuber, Buchinger
Kuttenplaner Schmelz chodovsky Hut Böhm, Roth, Windisch
Labant Labut Angermann, Menzl/Menzel
Langendörflas Dlouhy Ujezd Frankenberger
Mauthdorf Myto Güntner
Meierhöfen Vel. Dvorce Schmidtkunz/Schmidgunst
Michelsberg Michalovy Hory Schneider, Pschaida
Naketendörflas Nahy Ujezdec Weiss/Weiß, Kinnhackel
Neuhäusl Novy Domky Fröhlich, Prater, Schön, Keim, Lerner, Sollner
Neudorf Nova Ves Keim, Bauer, Pfannenstiel Feidenhausel/Feidenhaupel
Neu Zedlisch Nove Sedliste Knoll
Ober Sandau Horni Zandov Klinger, Kreinhöfer/Kreinhöffner
Paulsbrunn Pavluv Studenec Freudl/Freudel
Petlarn Zebracky Engelmann, Deglmann/Degelmann, Schuster
Petlabrand Zebracky Zd ar Güntner, Reiss, Kraus, Bauer, Schuster
Plan Plana Majer/Mayer
Pirkau Brezi Windisch
Pössigkau Bezdekov Tunzer
Pfraumberg Primda Theiner, Gross/Groß, Ehrhard, Scheidermann
Promenhof Broumov Klinger
Purschau Porejov Fleissner/Fleßner, Putzlacher, Titz/Ditz, Walter, Röhl, Bauer, Sturm, Biermajer, Seitz
Ringelberg   Stich, Frankenberger
Reichenthal Hranicky Magerl
Roßhaupt Rzvadov Persak, Raab, Guber, Peternek, Hummer, Plobner/Blumer, Spitzner, Iwan/Riwan, Hüttel
Schönbrunn Studanka Brandl, Reiter, Thein
Schönwald Lesna Eckert, Huf, Pschaida
Sorghof Lucina Bäumel, Dobner, Kraus, Laub
Tachau Tachov Dörfler, Mayer/Majer
Tachauer Schmelz Tachovska Hut Thürl, Mayer/Majer
Thiergarten Obora Brück, Güntner, Schmidt, Walter, Hausmann, Mayer/Majer, Schön, Fritsch, Scharnagel
Tissa Tisova Pittner/Bittner
Triebl Trebel Röhl
Uschau Usava Kreutzer
Ulliersreith Oldrichov Bill/Bühl
Waschagrün Vyskov Langenberger

 

Die Orte:

Böhmisch Röhren - Familie Jaroschek 

Winterberg - Familie Reif  

Schreinetschlag - Familie Griedl  

Ober Zassau - Familie Samer 

liegen im südlichen Teil Westböhmens, im Gebiet von Prachatitz und der Moldau. Die von den Familien Weidl - Alwenzdorfer Brand - und Rehmann - Holtersdorfer Brand - genannten Orte, könnten durch falsche Aufzeichnungen in den Kirchenbüchern entstanden sein. Vermutlich handelt es sich um Albersdorf bei Brand - dem Ort der Kirchenzugehörigkeit. Auf Grabsteinen und dem Kriegerdenkmal von Brand fanden wir diese Namen. Der Herkunftsort der Familie Jäger – Kollautschen – heißt jetzt Kolovec und liegt nordöstlich von Taus im tschechischen Sprachgebiet. Diese Namensliste ist unvollständig, da die Eintragungen in den Kirchenbüchern von Kochawina und Machliniec aus den bereits genannten Gründen lückenhaft waren und auch die Verbindung zur alten Heimat nur bin zum Ende des 1. Weltkrieges bestand.

Mit dem Zerfall der Österreichisch - Ungarischen Monarchie und der Gründung der 1. Tschechischen Republik 1918, der ganz Böhmen - einschließlich dem bis dahin rein deutsch besiedelten Randgebiet zugesprochen wurde , war das Herkunftsgebiet der Deutschböhmen der Machliniecer Sprachinsel Ausland geworden, noch dazu unter der Herrschaft eines anderen Volkes.

2. 3. Persönliche Eindrücke vom Egerland, dem Herkunftsgebiet unserer Vorfahren

Die Ahnen meiner Ehefrau stammen auch aus Westböhmen, sogar aus dem gleichen Gebiet um Tachau und Bischofteinitz. Ihre Großeltern und Eltern waren ebenfalls nicht im Egerland geblieben, sie hatten sich 1903 im Gebiet von Komotau eine neue Heimat gesucht. Die Verbindung zu den Geburtsorten und den dort verbliebenen Verwandten bestand jedoch bis zum Ende des 2. Weltkrieges 1945. Grund genug für uns, die Heimat unserer gemeinsamen Vorfahren zu besuchen. Anfang der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts, als es den Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik erlaubt wurde, ohne Einladung den tschechischen Staat zu besuchen, begannen wir unsere Reisen in das Egerland und verbringen seit dem jährlich einige Tage dort.

Bei den folgenden Ausführungen muss man sich ins Gedächtnis rufen, dass: - am Ende des 2. Weltkrieges die 1918 gegründete Tschechoslowakische Republik, die von Hitlerdeutschland 1938/39 aufgelöst wurde, wieder neu entstand und auch das Egerland wieder dazu gehörte - alle Siegermächte im Potsdamer Abkommen ihre Zustimmung zur Ausweisung der fast 3,5 Millionen Sudetendeutschen aus ihrer über 800 Jahre angestammten Heimat gaben und - der neue, alte Präsident der Tschechoslowakei, Dr. Eduard Benesch, s o f o r t durch seine Dekrete (die noch in Kraft sind!), die Vertreibung 1945/46 vollzog.

So mussten auch die Deutschen aus dem Egerland mit höchstens 50 Kilogramm Handgepäck ihre Heimat verlassen. Viele Dörfer standen über Jahre leer, da der tschechische Staat sie nicht durch eigene Leute besiedeln konnte. Im 5 km breiten Grenzstreifen zu Bayern, den man auch heute noch nicht mit dem Auto befahren darf, wohnten Soldaten in den deutschen Dörfern. Jetzt nach 55 Jahren gibt es viele davon nicht mehr, der Wald hat sich wieder ausgebreitet, haben Dörfer, Felder und Wiesen überwuchert. Die meisten Herkunftsorte im Egerland der Bewohner der Machliniecer Sprachinsel bestehen noch, wenn auch teilweise nur aus einigen Häusern.

Die Dorfstraße von Neuhäusl 1998. 1945 noch mehr als 50 Wohngrundstücke und 450 Einwohner. Jetzt 8 Häuser, davon 3 Ferienhäuser und nur 24 Einwohner

Der kommunistische tschechische Staat hat in der Zeit von 1948 bis 1990 viele Asphaltstraßen - auch in die entlegendsten Dörfer gebaut, so dass man sie bequem mit dem Auto erreichen kann wenn nicht ein Verbotsschild die Weiterfahrt in Richtung Grenze verwehrt. Die jetzt dort lebenden Tschechen und Slowaken sind in ihrer Mehrzahl gastfreundlich und hilfsbereit. Es leben euch noch einige wenige Deutsche dort, die aus den verschiedensten Gründen bleiben mussten.

Unsere Überlegungen beim ersten Besuch in der Heimat meiner Vorfahren bezogen sich auf Möglichkeiten, ihre Herkunft nachzuweisen. Da in Böhmen - wie in Ostgalizien - bis 1938, der Besetzung durch das damalige Deutsche Reich, die Kirchen für die Geburts- Tauf- und Trauregister zuständig waren, hätte man dort auch Auskunft erwartet. Es gibt zwar noch viele große Kirchengebäude im Egerland, denn die Bewohner waren bis zu ihrer Vertreibung sehr gläubig, vorwiegend römisch - katholisch. Durch die dünne Besiedlung des Gebietes (1992 kamen im Gebiet von Tachau 36 Einwohner auf einen Quadratkilometer) und durch die marxistische Lehre in der Zeit nach 1945, wurden die meisten Kirchen nicht mehr gebraucht. Sie standen leer, wurden ausgeräumt und in vielen Fällen, z.B. auch in Roßhaupt von der Landwirtschaft als Lagerraum genutzt, wurden abgerissen wie in Neudorf südlich von Roßhaupt, oder fallen langsam ein.

Kirche in Roßhaupt. 1992 konnten wir im Innenraum noch die schön gestaltete Kirchendecke und die Jahreszahl 1722 sehen - leider auch einen Berg Kunstdünger. 1999 war der Eingang zugemauert und das Zeichen für den Denkmalschutz an der Kirche angebracht. Aus Roßhaupt stammten nachweislich acht Machliniecer Familien.

Kirche im ehemals reichen Michelsdorf. Auf dem Friedhof fanden wir noch einen Grabstein mit dem Namen Langenberger aus Waschagrün, dem Herkunftsort unseres „Musikantennaz" und Musikantentone" aus Drösseldorf. ( Wola Oblaznicka )

Nach Aussage des Pfarrers von Haid bei Tachau, wurden die Kirchenunterlagen 1952 vom tschechischen Staat abverlangt und archiviert. Jetzt, nach 1990, können Deutsche vom Archiv in Pilsen Auskunft erhalten. Bis 1990 war das für uns nicht möglich. Da am Anfang des 19. Jahrhunderts nicht alle Mitglieder einer Familie nach Ostgalizien auswanderten, blieben uns also zur Information noch vorhandene Kriegerdenkmäler mit den Namen der Gefallenen des 1. Weltkrieges und Friedhöfe mit deutschen Kamen und Gräbern.

Kriegerdenkmal hinter der Kirche in Brand - für die Orte Brand, Thiergarten, Sorghof und Mauthdorf.

Tafel vom Kriegerdenkmal in Neuhäusl. Die Namen Schön und Keim gab es hier noch bis 1945

 

Der Name Köstler findet sich auf dem Friedhof in Königswart auch wieder

Wir haben inzwischen fast alle genannten Herkunftsorte der Bewohner der Machliniecer Sprachinsel besucht, manche auch mehrmals. Wir waren enttäuscht, dass viele Orte - wie Thiergarten, Albersdorf, Neuhäusl, Kuttenplaner Schmelzthal und andere nur noch aus dem Namen und einigen Häusern bestehen, dass der Ort Sorghof einem großen Stausee weichen musste, dass es in Roßhaupt und auch in einigen anderen Dörfern keinen Friedhof mehr gibt und dass, wie bereits erwähnt, viele Kirchen abgerissen sind oder langsam zerfallen.

Im Einzelfall gibt es auch gepflegte Friedhöfe mit nur deutschen Gräbern, z. B. in Neuhäusl. Ehemalige Bewohner des Ortes kommen extra über die Grenze von Bayern, um ihre Toten zu ehren.

Deutscher Friedhof in Neuhäusl im Jahre 1999

Auf anderen Friedhöfen, die auch von den jetzigen Bewohnern belegt werden, findet man auch noch alte deutsche Gräber. In Dreihaken z.B. eine große Familiengrabstelle der Familie Stark und auf dem Friedhof von Uschau einen Grabstein einer Maria Kreutzer.

In den letzten Jahren wurden viele Kirchen im Egerland restauriert, oft mit der Unterstützung der ehemaligen deutschen Bewohner.

Kirche von Uschau 1999.Der Friedhof umschließt die Kirche.

Freuen kann sich jeder Besucher über die historischen Bauten der Stadt Tachau. Besonders über den Markt, die Erzdekanatskirche, dar Schloss, die Barockmühle und das Kloster.

Markt mit Dekanatskirche in Tachau 1998.

Auch im Umfeld bestehen viele Sehenswürdigkeiten und kulturhistorische Bauten. So in Haid, Bischoftainitz, Weißensulz, Plan, Mies und natürlich auch in Eger und dem Bäderdreieck Karlsbad, Marienbad und Franzensbad. Wenn auch noch viel zu tun bleibt, ist die Heimat unserer Vorfahren - ihre Natur und ihre Bauten - sehenswert. Sie haben sie wohl auch sehr geliebt, ihre Heimat. Sie bewahrten ihren katholischen Glauben, ihre Bräuche und Sitten und ihre Sprache.

Der Schutzheilige von Böhmen, Johann von Nepomuk, war auch der Kirchenpatron der Sprachinsel Machliniec. Am 16. Mai jeden Jahres feierte man ihn. Eine Prozession zog von der Kirche zur Nepomukstatue im Kapellchen an der Dorfstraße. Mir ist das besonders in Erinnerung; denn auf dem Dachboden im Haus meines Urgroßvaters Johann Schön ( zuletzt Grundstück meines Nachbarn und Verwandten Josef Weidl ) an der Dömne Nr. 34 in Nowe Siolo, stand auch eine Figur des heiligen Johann von Nepomuk. Ob sie, wie mündlich überliefert, " vo dorhoam " mitgebracht wurde oder auch - wie die Statue in Machliniec - vom " Simer Tone ", dem aus Michelsberg in Böhmen stammenden Anton Schneider in Galizien geschnitzt wurde, kann ich nicht sagen. Als Kinder krochen wir jedoch oft mit schlechtem Gewissen zu ihm auf den Boden und hofften auf Hilfe !

Mit der Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakischen Republik im Jahre 1945/46, sind die Heimat und die Kultur auch der ehemaligen Bewohner der Sprachinsel Machliniec verloren. Was über 120 Jahre im engen Sprachinselleben erhalten und gepflegt wurde, die Sitten und Bräuche aus der alten Heimat, die Egerländer Mundart, wird jetzt vom neuen großen Umfeld aufgesogen, vermengt mit anderen Mundarten und Sitten und schließlich vergessen. Auch die bis zum Ende des 2. Weltkrieges noch im Egerland lebenden Deutschen, wurden wie wir in die verschiedensten Bundesländer verteilt oder wanderten aus. Selbst wenn sie nur über das Gebirge nach Bayern gingen, haben sich in den 55 Jahren nach dem 2. Weltkrieg bereits die Besonderheiten der Mundart aus dem Egerland verloren - sie sprechen bayrisch. Alte Sitten und Bräuche, werden nur noch gelegentlich bei gemeinsamen Treffen wieder belebt. Da sich auch unsere Kinder und Enkel am neuen Umfeld orientieren, sind wir die letzte Generation, die die alten Traditionen kennt und die Egerländer Mundart spricht.

Nachtrag von Dr. Oswald Rehmann

In seinem Buch "DIE JUNGEN DEUTSCHEN SPRACHINSELN IN GALIZIEN", 1930, Aschendorffsche Verlagsbuchhandlung Münster in Westfalen  gibt W. Kuhn (Neudruck 1990 Helmut Scherer Verlag GmbH Berlin) folgende Ursprungsorte für die Vorfahren der Machliniecer Sprachinsel an: