Quelle : Bernhard Böhm


Ausbruch des Ersten Weltkrieges

Die Schüsse von Sarajewo, die am 28. Juni 1914 den österreichisch-ungarischen Thronfolger Franz Ferdinand und seine Gattin töteten, hatten zugleich die Donaumonarchie lebensgefährlich getroffen. Aus dem österreichisch-serbischen Konflikt entstand ein europäischer Krieg, der sich durch die Einmischung anderer Staaten zu einem Weltkrieg ausweitete. Die Kriegskatastrophe, die im August 1914 begann, hat Unheil und Verderben über Europa gebracht, besonders aber über das österreichische Galizien, unsere Heimat.

Überlegene russische Kräfte stießen von Osten her vor und besetzten den größten Teil Ostgaliziens. Er wurde zum Krieg des Schreckens, der noch heute bei vielen älteren Bürgern in Erinnerung ist. Somit gerieten die deutschen Siedlungen in Ostgalizien, mit wenigen Ausnahmen, unter die Herrschaft der Russen. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Galiziendeutschen hatte sich beim Herannahen der Russen auf die Flucht begeben und alles Hab und Gut zurückgelassen. Es war ein Abschied voll Tränen und Weh.

Die Schlachten in Ostgalizien hielten an. Obwohl innerhalb von 3 Jahren die Sieger mehrmals wechselten, war von einer Siegesfahne nie die Rede. In vielen deutschen Siedlungen begann bereits Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft einzuziehen. Man begann rasch die wirtschaftlichen Wunden zu schließen. Das Jahr 1916 versprach in Ostgalizien eine Rekordernte. Die deutschen Landsleute versprachen sich überall durch den Verkauf ihrer Produkte reichlichen Gewinn. Aber alle Hoffnungen wurden zunichte gemacht, als mit aller Gewalt von neuem das Kriegsgeschehen über Ostgalizien losbrach.

Kurz vor der Ernte 1916 begann zum wiederholten Male eine neue russische Offensive und richtete ihre ganze Wucht gegen die so genannte bessarabische Front in Richtung Ostgalizien. Die Eroberung von Czernowitz war somit die Folge. Die Russen drängten immer schneller vor und Kolomea fiel in ihre Hände. Für ein weiteres Vordringen der Russen gab es keinen Halt.

Im Monat August 1916 gewannen russische Angriffstruppen immer mehr an Boden, was zur Folge hatte, daß Stanislau von den österreichischen Truppen geräumt werden mußte. Da entschlossen sich die Stanislauer zur Flucht in Richtung Österreich. Die Mariahilfer zogen auf der Landstraße in Richtung Stry ab. Von den verschiedenen Flüchtlingskolonnen kamen die Mariahilfer nach Machliniece, Nowe Siolo und Königsaue. Die Kolonie Mariahilf wurde fast völlig niedergebrannt.

Auch von Nordosten gewann die russische Front immer mehr Boden. Aber trotz des großen Geländegewinnes scheiterte die russische Offensive. In der ersten Hälfte von 1917 herrschte an der Ostfront fast völlige Ruhe. Die Stellungen verliefen in mehreren Abschnitten zwischen den deutschen Siedlungen, so in den Bezirken Dolina, Stryj und Zydaszow.

Nach dem Zerfall des Zarenreiches und der Übernahme der Regierung durch Kerenski lebten die Kämpfe an der Ostfront wieder auf. Die Russen griffen im Juli 1917 bei Stanislau wieder an. Die österreichisch-ungarischen Truppen schon sehr geschwächt, mußten sich beiderseits der Straße Stanislau- Kalusz wieder zurückziehen. Man ließ vor der russischen Armee sämtliche militärischen Anlagen in Stanislau und Kalusz in Flammen aufgehen. Die russische Offensive erschöpfte sich bald, so daß österreichische Truppen, verstärkt und unterstützt durch deutsche Verbände, zum Gegenangriff übergingen.

Nach der Durchbruchsschlacht am Fuße der Karpaten führte die Gegenoffensive der Verbündeten erneut zur Rückgewinnung fast ganz Galiziens. Nun wurden auch die Siedlungen am Fuße der Karpaten wieder frei, die drei Jahre ohne Unterbrechung in russischer Hand waren. In den deutschen Siedlungen wurden während der Belagerung viele Gehöfte niedergebrannt und die meisten Männer verschleppt. Nach der Befreiung kehrten die Flüchtlinge nach und nach in ihre Heimatdörfer zurück. Sie trafen meist Trümmerstätten und unbebaute Felder, Not und Elend an. Meistens waren Kirchen und Schulen dem Erdboden gleichgemacht oder in schwarze Ruinen verwandelt.

Nach dem Abzug der Russen aus Ostgalizien begann der Wiederaufbau und machte große Fortschritte. Das Leben kehrte allmählich in geordnete Bahnen zurück. Nun wurde es für die meisten Zeit, sich Gedanken über den weiteren Verlauf der Entwicklung zu machen. Vor den Deutschen in Galizien stand die Frage, was sie am Ende des Krieges zu erwarten hatten. Viele ältere Bürger ahnten, daß die Auswanderung aus ihrer Heimat letztendlich notwendig sein könnte, um ihre Gemeinschaft zu retten. Alle Hoffnungen und Pläne wurden mit dem unglücklichen Ende des 1. Weltkrieges zunichte gemacht.

Am 1. November 1918 zerfiel Österreich-Ungarn. An dem selben Tag besetzten ukrainische Regimenter der aufgelösten k. und K. Armee Ostgalizien. Um Lemberg entbrannte der Kampf zwischen Ukrainern und Polen. Eine neu gebildete national-ukrainische Regierung proklamierte die West-Ukraine, Stanislau wurde ihre Hauptstadt. Angesichts der neuen Situation herrschte Unsicherheit und Ratlosigkeit in den Reihen der Deutschen. Sie hatten sich von je her als Österreicher gefühlt und sich aus den nationalen Kämpfen der Ukrainer und Polen im alten Österreich stets herausgehalten.

Nun konnte sich jedoch die Westukraine nicht lange halten. Die neu gebildeten Truppen der Republik Polen errangen im November 1918 Lemberg und bis zum Sommer 1919 auch die übrigen Teile Galiziens. Der kalte Krieg ging stillschweigend weiter. Erst durch die Entscheidung der Botschafterkonferenz in Paris vom 15. März 1923 wurde Ostgalizien den Polen zugesprochen.

Schwer waren die Wunden, die der 1. Weltkrieg unseren Siedlungen geschlagen hatte. Das Einleben in den neuen Staat wurde den Deutschen Galiziens nicht leicht gemacht. Um so größere Beachtung verdiente es, daß das kulturelle und wirtschaftliche Leben der Galizien-Deutschen sich nach dem Krieg trotz aller Schwierigkeiten im politischen Leben entfaltete. Der Selbsterhaltungstrieb dieser Menschen blieb ungebrochen.

Große Probleme gab es beim Schulunterricht der Kinder, es fehlten deutsche Lehrer sowie geeignete Schulbücher. Als Bücher für den Unterricht dienten oft alte aus der Heimat, die als Lehrbücher verboten wurden. Es kam nun auf schulischem Gebiet immer mehr zur Konfrontation zwischen den deutschen Siedlern und dem polnischen Staat. Schließungen von polnischen Schulen in Deutschland hatten Schließungen von deutschen Schulen in Polen zur Folge und umgekehrt.

Auch war die Existenz der deutschen Minderheit in Ostgalizien der polnischen Regierung viel zu unbedeutend, als daß sie ihretwegen politische Probleme gelöst hätte. So kam es, daß viele deutsche Schulen polnisiert wurden. Deutschen Lehrern wurde die Unterrichtserlaubnis versagt, weil das politische Führungszeugnis negativ war. Die Anschaffung von Lehrmitteln und Schulinventar aller Art, wie sie die Behörde an deutschen Schulen verlangte, überstieg die Leistungsfähigkeit der Gemeinden bei weitem. Die meisten deutschen Gemeinden konnten nicht den Nachweis erbringen, daß sie in der Lage waren, ihre Schulen aus eigener Kraft zu erhalten.

Einige finanzkräftige Gemeinden unternahmen alles, um aus eigenen Mitteln den Deutsch-Unterricht in ihren Schulen zu retten. Schulhäuser wurden renoviert, in manchen Siedlungen neue errichtet und mit Unterrichtsmitteln aller Art ausgestattet. Die Lehrer strengten nun ihre Kräfte bis zum äußersten an, um den Anforderungen der Schulbehörden zu genügen. Nach und nach überzeugte der Deutsch-Unterricht in den Schulen und wurde vom polnischen Staat als überlegen anerkannt.

Trotzdem bereitete die Verwirklichung des Unterrichtprogramms an den deutschen Schulen immer mehr Schwierigkeiten. Es stellte sich heraus, daß an den deutschen Schulen die sprachlichen Probleme immer stärker wurden, daß der Unterricht seiner erzieherischen Wirkung nicht mehr gerecht werden konnte. Die geschichtliche Darstellung in den deutsch-polnischen Lehrbüchern wurde unterschiedlich interpretiert. So standen die deutschen Lehrer vor sehr großen Problemen. Trotz all dieser Tatsachen wollten die deutschen Lehrer ihren Kindern die deutsche Kultur nahe bringen und sie ihnen lieb und wert machen.

Dazu bemühte man sich auch einander menschlich näher zu kommen. So wurden verschiedene Veranstaltungen von der Schule organisiert: Weihnachtsfeiern, Singeabende, Sportfeste, Theaterveranstaltungen, Vortragsabende. Zu all diesen Feiern wurden auch die Eltern eingeladen. So gewann der Lehrer (besonders der Machliniecer Sprachinsel) immer mehr an Bedeutung und wurde von der gesamten Bevölkerung anerkannt und geachtet. In jenen deutschen Gemeinden, wo der Einfluß guter deutscher Lehrer fehlte, ging der deutsche Sprachgebrauch bei den Kindern in dem Maße stark zurück, wie der Einfluß polnischer Lehrer und Geistlicher wuchs.

Zur Erhaltung der Eigenständigkeit der deutschen Katholiken gründeten sie den Verband Deutscher Katholiken (V.d.K.) in Galizien mit Sitz in Kattowitz. Ziel des V.d.K. war es, alle deutschen Katholiken innerhalb des polnischen Staates auf kulturellem und sozialem Gebiet zusammenzuschließen. Die Schulen von Drösseldorf und Kontrowers waren in den Verband mit einbezogen. Selbst die Wanderlehrer waren dem V.d.K. unterstellt und hatten keine leichte Aufgabe zu erfüllen. Die Arbeit war schwer und verantwortungsvoll, sie waren jederzeit und überall schweren seelischen Belastungen ausgesetzt. Im Bewußtsein dauernd von der Polizei und deren Spitzeln beobachtet zu werden, die Verhöre und Gerichtsverhandlungen zehrten an den Nerven und beeinträchtigten die Gesundheit der Wanderlehrer; denn sie standen unter ständiger Polizeiaufsicht. Gut, daß es ihnen bekannt war; denn so konnten sie sich in ihrer Haltung und Arbeit entsprechend einstellen. Überraschungen konnte es so nicht geben, es sei denn, daß die Behörden in ihrem Vorgehen Rechtsbruch begangen. Dies war der Fall als der Wanderlehrer Hans Reinpold verhaftet wurde und in das Konzentrationslager Berezer Kartuska eingeliefert wurde. Im folgenden gebe ich ein Verzeichnis der Jugendlichen, welche in der Zeit zwischen 1. und 2. Weltkrieg ein Lehrerstudium absolvierten und den Dienst eines Lehrers an deutschen Bundesschulen, Privatschulen und einige an den Volksschulen aufnahmen:

Name Vorname Geburtsort
Bill Johann Machliniece
Bill Ambros Machliniece
Bill Alois Machliniece
Peternek Josef Machliniece
Mühlbauer Barbara Machliniece
Mühlbauer Edmund Machliniece
Windisch Martin Kornelowka
Pikola Lepold Izydorowka

In Ostgalizien waren 4 Wanderlehrer tätig: Hans Reinpold, Ambros Bill, Leopold Jilek und Siegmund Kolmer.

Sie waren ausgebildete Kräfte im Schuldienst. Wegen ihres unerschrockenen Eintretens für die Belange der Landsleute wurde ihnen von der polnischen Behörde die Lehrberechtigung verweigert. Die Lehrer wurden somit Träger des V.d.K., ihre Aufgabe war es, Vätersitte und Muttersprache zu erhalten. Vor allem aber die Jugend zur Mitarbeit zu gewinnen. Das Wirken der Wanderlehrer erstreckte sich auch auf alle anderen Bereiche des Dorflebens. Es darf hier gesagt werden, daß die Egerländer und Böhmerländer an Beharrlichkeit und Zähigkeit den zu Kompromissen neigenden Pfälzern im allgemeinen überlegen waren. Trotz aller Widerwärtigkeiten blieb der V.d.K. seinen Prinzipien treu und diente unentwegt den deutsch- katholischen Siedlungen und ihren Menschen. Besonders stark machte sich das unter den Egerländern der Machliniecer Sprachinsel bemerkbar. Konsequent in der Leitung war Oberlehrer Jakob Reinpold, der als Obmann in Ostgalizien eingesetzt war. Er war behutsam im Auftreten, konsequent bei der Verfolgung der gesteckten Ziele, aber kompromißlos in der Verteidigung der deutschen Katholiken. Rückschläge, die durch ungesetzliche Verfügungen der Behörden verursacht wurden, brachten keine Unruhe in die Reihe der verantwortlichen Männer des V.d.K. unter seiner Leitung. Öfter wurden Träger des V.d.K. von der Bezirkshauptmannschaft vorgeladen und mit Geldstrafen belegt, doch auch dies konnte sie in ihrer Arbeit nicht hindern.

Es wurde unerschrocken bis zum Ausbruch des 2. Weltkrieges im September 1939 im Kampf um ihre Rechte weiter gearbeitet. Da Oberlehrer Jakob Reinpold seinen Wohnsitz in Mariahilf hatte, war oft Gelegenheit mit seinen Mitarbeitern über die Aufgaben und Probleme zu beraten.

Da es doch eine kleine Gruppe von Spitzeln in den eigenen Reihen gab, welche jahrelang gegen die schnelle Aufwärtsentwicklung der V.d.K. Geheimdienste für die Behörden leisteten, nahm dies die Bezirkshauptmannschaft zum Anlaß, beim Ausbruch des deutsch-polnischen Krieges die Bezirkshauptmannschaft folgende Obleute des V.d.K. aus dem Machliniecer Bereich fest:

Name Vorname Wohnort
Böhm Bernhard Machliniece
Bill Klemens Machliniece
Bill Johann Kontrowers
Böhm Michael Kornelowka
Christel Josef Machliniece
Engelmann Leopold Kornelowka
Fleißner Johann Machliniece
Krauß Johann Nowe Siolo
Mühlbauer Ernest Nowe Siolo
Merz Josef Machliniece
Peternek Jakob Machliniece
Peternek Josef Machliniece
Rehmann Franz Nowe Siolo
Raschka Anni Machliniece
Schneider Franz Kornelowka
Vogel Anton Nowe Siolo

Diese Inhaftierungen waren das Ergebnis einer jahrelangen Arbeit der kleinen Spitzelgruppe. Zum Glück dauerten die Kampfhandlungen zwischen Polen und Deutschland nicht lange an, und die Inhaftierten konnten beim Heranrücken der Deutschen Wehrmacht zu ihren Familien heimkehren. Die Zeit im Gefängnis war kurz aber hart, in der ersten Woche gab es einmal Kaffee. Die Zellen waren für 6 Mann eingerichtet, jedoch mußten 17 Häftlinge sie teilen. Nach einer Woche wurden die Gefangenen aus dem Gefängnis Zydaczow in das Gefängnis Stryj verlegt, wo die Platzverhältnisse noch schlimmer waren. Während ein Teil der Gefangenen auf dem Fußboden lag, mußten die anderen stehen oder sitzen. Einmal täglich gab es eine Krautsuppe.