Das Ringen der Galiziendeutschen um ihre Schulbildung 1782-1939"


Das Wort "Ringen" um Schulbildung wurde im Unterschied etwa zur "Entwicklung" des
Schulwesens bewußt verwendet. In Galizien, besonders in Ostgalizien, in der mehr ukrainisch
als polnisch geprägten "Halytschyna" hat es im wesentlichen kein geordnetes Schulwesen
gegeben (Sep. Müller "Von der Ansiedlung..." S. 110), auf dem man etwas Analoges hätte
aufbauen oder weiterentwickeln können. "Ringen" soll auch zum Ausdruck bringen, daß die
aus der Rheinpfalz und den anderen Gegenden Südwestdeutschlands ausgewanderten
Deutschen, die nunmehrigen eingewanderten deutschen "Ausländer" (Wilhelm Metzier), von
Anfang an - trotz bedeutender materieller (wirtschaftlicher) Schwierigkeiten, seelischer
Belastungen und zahlreicher Hindernisse bekenntnismäßiger, sprachlicher und nationaler Art
- sich für die Bewahrung ihrer Identität mit all ihnen zur Verfügung stehenden Kräften
eingesetzt haben.

Das die vom österreichischen Kaiser Joseph II, in das 1772 annektierte Galizien gerufenen
Kolonisten unter den nach dessen Tod im Jahre 1790 etablierten Regierungen sich überhaupt
so lange erhalten haben, obwohl sie von diesem in den späteren Jahren "gänzlich im Stich
gelassen" wurden, "mutet uns fast wie ein Wunder an", schreibt Pfarrer Dr. Rudolpf
Kessekring in seinem in Lemberg 1912 erschienenen Buch "Die evang. Siedlungen Galiziens
... 1772 -1822" (S. 78). Nicht nur, daß die Ansiedler der ersten Generation an den Folgen der
z.T. umgemodelten und "ergänzten" Bestimmungen der ihnen im Ansiedlungspatent vom
4.9.1781 zugesagten Begünstigungen wirtschaftlicher Art und an den Folgen des im
Toleranzpatent vom 10.11.1781 festgelegten Primats der katholischen Kirche zu leiden hatte,
wurden sie beim Aufbau ihres eigenen deutsch-evang. und deutsch-kath. Schulwesens nicht
nur nicht gefördert, sondern im beträchtlichem Maße behindert.

Wer sich nicht mit der Geschichte des Auslands-, des Emigranten- oder auch des
"Inseldeutschtums" beschäftigt oder die damit zusammenhängende Problematik aus
Erfahrung kennen gelernt hat, wird sich kaum vorstellen können, weiche mühsamen Wege -
sagen wir so vor über 200 Jahren - bestritten werden mußten, um außerhalb seiner Heimat
nicht in einem andersartigen Milieu unterzugehen. Nicht untergehen bedeutet aber, die
Lebensweise, in der man aufgewachsen ist, nicht nur aufzubewahren, sondern sie den
nachkommenden Generationen weiterzuvermitteln. Wenn nun zur bisher gewohnten

Lebensweise die Fähigkeit, schreiben und lesen zu können gehörte, dann war nur zu
verständlich, daß den Eltern viel daran lag, ihre Kinder nicht im Zustand des
Analphabetentums versinken zu lassen. Dies ist um so bezeichnender, als eben diese Eltern
selbst in ihrer alten Heimat gar nicht so schulfreudig waren oder aus Notsituationen heraus
nicht in der Lage waren, die ursprünglichen Kirchspiel- oder Parrochialschulen aufzusuchen,

Hier in der Fremde galt es nun, nicht nur wirtschaftlich Fuß zu fassen, sondern
Voraussetzungen zu schaffen, um einen gemeinschaftlichen Halt zu gewinnen. Dies konnte
nur dadurch geschehen, daß Kirchengemeinden geschaffen wurden, deren Aufgabe es auch
"Toleranzpatent" war, "ihre eigenen Schulmeister, welche von den Gemeinden zu erhalten
sind, zu bestellen". Zwar hat es mitunter noch ... zig Jahre gedauert, bis offizielle Kirchen-
und Schuleinrichtungen (Kirchgebäude mit angestellten Pastoren und Schulgebäude mit
angestellten Lehrern) geschaffen werden konnten, aber ein Dorfangehöriger wurde von
Anfang an immer gefunden, der in welchem Maße auch immer dafür geeignet schien, den
Kindern die Anfänge des Schreibens, Lesens, des Rechnens, nachher aus der Religion
beizubringen. Bis es zu einem geordneten Schulwesen kam, waren jedoch dornenreiche Wege
zu bewältigen.

Im Hinblick auf die Bildung von Kirchengemeinden muß auf den Tatbestand hingewiesen
werden, daß die Kirche für die Ansiedler und ehemaligen deutschen Bewohnern Galiziens bis
zur "Umsiedlung" im Dezember 1939/Jan. 1940 nicht wie üblich nur eine Institution war, die
für die Abhaltung von Gottesdiensten und den Vollzug von tradierten Kasualien (Taufe,
Konfirmationen, Trauungen und Beerdigungen) benötigt wurde, sondern sie stellte ein
verbindliches Band dar, eine Stätte der Begegnung, auf der man die weitere Art des
Zusammenlebens in Einzelgesprächen beraten konnte. Da besonders schulische Belange nicht
ohne finanzielle Mittel bewältigt werden konnte, stellte sie die Kirche, in welchem Umfang
auch immer, zur Verfügung. Die Kirche hatte immer etwas Geld, und wenn es aus
durchgeführten Kollekten gewesen wäre, ohne steuerliche Festlegungen, die nicht - wie des
öfteren heute -
die Frage eines Kirchenaustritts oder Nichtaustritts aufkommen ließ. Es war damals viel mehr
als ein konventionelles Gewohnheitschristentum. Das war es, was die Assimilierung des
evangelischen Deutschtums stets verhinderte - bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges,

Die ersten Jahrzehnte nach der Ansiedlung waren naturgemäß die schwierigsten, da mit den
Siedlern keine Geistlichen und keine Lehrer nach Galizien gekommen waren. Erst in späterer
Zeit hat es Bemühungen des Wiener Konsistoriums und der Regierungsstellen gegeben,
Kirchen und Schulen errichten zu lassen , aber die Dörfer sind zunächst ohne den Bau von
Kirchen und Schulen errichtet worden. Das sollte später durch das "Hauptnormale § 72"
geregelt werden.

Das Jahr 1903, in dem die von Preußen (Bismarck) eingeleitete "Ostmarken-politik" den
Bestand deutscher Kolonien in beträchtlichem Maße gefährdete, was aber von einem damals
gebildeten, unter der Federführung von Pfarrer Theodor Zöckler stehenden Aktionskomitees
teilweise verhindert wurde, und das Jahr 1907, in dem das Publikationsorgan "Deutsches
Volksblatt Galizien" erscheinen konnte und der "Bund der christlichen Deutschen"
(der evangelischen und katholischen !) gegründet wurde. Jetzt erwies es sich, daß das
Deutschtum Galiziens über eine, wenn auch bisher nur im Verborgenen "schlummernde"
Intelligenz verrügte, die das "nationale Erwachen" zum Tragen brachte. Mit dieser wurde
auch der Grundstein dafür gelegt, daß das deutsch-evangelische und zum Teil auch das
deutsch-katholische Schulwesen die Zeit nach der Wiedererstehung des polnischen Staates im
Jahre 1918 überstehen konnte.