Das Wort "Ringen" um Schulbildung
wurde im Unterschied etwa zur "Entwicklung" des
Schulwesens bewußt verwendet. In Galizien, besonders in
Ostgalizien, in der mehr ukrainisch
als polnisch geprägten "Halytschyna" hat es im
wesentlichen kein geordnetes Schulwesen
gegeben (Sep. Müller "Von der Ansiedlung..." S. 110),
auf dem man etwas Analoges hätte
aufbauen oder weiterentwickeln können. "Ringen" soll
auch zum Ausdruck bringen, daß die
aus der Rheinpfalz und den anderen Gegenden Südwestdeutschlands
ausgewanderten
Deutschen, die nunmehrigen eingewanderten deutschen
"Ausländer" (Wilhelm Metzier), von
Anfang an - trotz bedeutender materieller (wirtschaftlicher)
Schwierigkeiten, seelischer
Belastungen und zahlreicher Hindernisse bekenntnismäßiger,
sprachlicher und nationaler Art
- sich für die Bewahrung ihrer Identität mit all ihnen zur
Verfügung stehenden Kräften
eingesetzt haben.
Das die vom österreichischen Kaiser Joseph II, in das 1772
annektierte Galizien gerufenen
Kolonisten unter den nach dessen Tod im Jahre 1790 etablierten
Regierungen sich überhaupt
so lange erhalten haben, obwohl sie von diesem in den späteren
Jahren "gänzlich im Stich
gelassen" wurden, "mutet uns fast wie ein Wunder
an", schreibt Pfarrer Dr. Rudolpf
Kessekring in seinem in Lemberg 1912 erschienenen Buch "Die
evang. Siedlungen Galiziens
... 1772 -1822" (S. 78). Nicht nur, daß die Ansiedler der
ersten Generation an den Folgen der
z.T. umgemodelten und "ergänzten" Bestimmungen der
ihnen im Ansiedlungspatent vom
4.9.1781 zugesagten Begünstigungen wirtschaftlicher Art und an
den Folgen des im
Toleranzpatent vom 10.11.1781 festgelegten Primats der
katholischen Kirche zu leiden hatte,
wurden sie beim Aufbau ihres eigenen deutsch-evang. und
deutsch-kath. Schulwesens nicht
nur nicht gefördert, sondern im beträchtlichem Maße behindert.
Wer sich nicht mit der Geschichte des Auslands-, des Emigranten-
oder auch des
"Inseldeutschtums" beschäftigt oder die damit
zusammenhängende Problematik aus
Erfahrung kennen gelernt hat, wird sich kaum vorstellen können,
weiche mühsamen Wege -
sagen wir so vor über 200 Jahren - bestritten werden mußten, um
außerhalb seiner Heimat
nicht in einem andersartigen Milieu unterzugehen. Nicht
untergehen bedeutet aber, die
Lebensweise, in der man aufgewachsen ist, nicht nur
aufzubewahren, sondern sie den
nachkommenden Generationen weiterzuvermitteln. Wenn nun zur
bisher gewohnten
Lebensweise die Fähigkeit, schreiben und lesen
zu können gehörte, dann war nur zu
verständlich, daß den Eltern viel daran lag, ihre Kinder nicht
im Zustand des
Analphabetentums versinken zu lassen. Dies ist um so
bezeichnender, als eben diese Eltern
selbst in ihrer alten Heimat gar nicht so schulfreudig waren oder
aus Notsituationen heraus
nicht in der Lage waren, die ursprünglichen Kirchspiel- oder
Parrochialschulen aufzusuchen,
Hier in der Fremde galt es nun, nicht nur wirtschaftlich Fuß zu
fassen, sondern
Voraussetzungen zu schaffen, um einen gemeinschaftlichen Halt zu
gewinnen. Dies konnte
nur dadurch geschehen, daß Kirchengemeinden geschaffen wurden,
deren Aufgabe es auch
"Toleranzpatent" war, "ihre eigenen Schulmeister,
welche von den Gemeinden zu erhalten
sind, zu bestellen". Zwar hat es mitunter noch ... zig Jahre
gedauert, bis offizielle Kirchen-
und Schuleinrichtungen (Kirchgebäude mit angestellten Pastoren
und Schulgebäude mit
angestellten Lehrern) geschaffen werden konnten, aber ein
Dorfangehöriger wurde von
Anfang an immer gefunden, der in welchem Maße auch immer dafür
geeignet schien, den
Kindern die Anfänge des Schreibens, Lesens, des Rechnens,
nachher aus der Religion
beizubringen. Bis es zu einem geordneten Schulwesen kam, waren
jedoch dornenreiche Wege
zu bewältigen.
Im Hinblick auf die Bildung von Kirchengemeinden muß auf den
Tatbestand hingewiesen
werden, daß die Kirche für die Ansiedler und ehemaligen
deutschen Bewohnern Galiziens bis
zur "Umsiedlung" im Dezember 1939/Jan. 1940 nicht wie
üblich nur eine Institution war, die
für die Abhaltung von Gottesdiensten und den Vollzug von
tradierten Kasualien (Taufe,
Konfirmationen, Trauungen und Beerdigungen) benötigt wurde,
sondern sie stellte ein
verbindliches Band dar, eine Stätte der Begegnung, auf der man
die weitere Art des
Zusammenlebens in Einzelgesprächen beraten konnte. Da besonders
schulische Belange nicht
ohne finanzielle Mittel bewältigt werden konnte, stellte sie die
Kirche, in welchem Umfang
auch immer, zur Verfügung. Die Kirche hatte immer etwas Geld,
und wenn es aus
durchgeführten Kollekten gewesen wäre, ohne steuerliche
Festlegungen, die nicht - wie des
öfteren heute -
die Frage eines Kirchenaustritts oder Nichtaustritts aufkommen
ließ. Es war damals viel mehr
als ein konventionelles Gewohnheitschristentum. Das war es, was
die Assimilierung des
evangelischen Deutschtums stets verhinderte - bis zum Ausbruch
des zweiten Weltkrieges,
Die ersten Jahrzehnte nach der Ansiedlung waren naturgemäß die
schwierigsten, da mit den
Siedlern keine Geistlichen und keine Lehrer nach Galizien
gekommen waren. Erst in späterer
Zeit hat es Bemühungen des Wiener Konsistoriums und der
Regierungsstellen gegeben,
Kirchen und Schulen errichten zu lassen , aber die Dörfer sind
zunächst ohne den Bau von
Kirchen und Schulen errichtet worden. Das sollte später durch
das "Hauptnormale § 72"
geregelt werden.
Das Jahr 1903, in dem die von Preußen (Bismarck) eingeleitete
"Ostmarken-politik" den
Bestand deutscher Kolonien in beträchtlichem Maße gefährdete,
was aber von einem damals
gebildeten, unter der Federführung von Pfarrer Theodor Zöckler
stehenden Aktionskomitees
teilweise verhindert wurde, und das Jahr 1907, in dem das
Publikationsorgan "Deutsches
Volksblatt Galizien" erscheinen konnte und der "Bund
der christlichen Deutschen"
(der evangelischen und katholischen !) gegründet wurde. Jetzt
erwies es sich, daß das
Deutschtum Galiziens über eine, wenn auch bisher nur im
Verborgenen "schlummernde"
Intelligenz verrügte, die das "nationale Erwachen" zum
Tragen brachte. Mit dieser wurde
auch der Grundstein dafür gelegt, daß das deutsch-evangelische
und zum Teil auch das
deutsch-katholische Schulwesen die Zeit nach der Wiedererstehung
des polnischen Staates im
Jahre 1918 überstehen konnte.