Zum Gedenken an das Schicksalsjahr 1939
Hitler und seine Ostpolitik
1999 trennen uns 60 Jahre von den Ereignissen 1939, die zum
Ausbruch des Zweiten
Weltkrieges führten, der die Welt nachhaltig erschütterte, die
Machtstrukturen und
Staatsgrenzen veränderte, Millionen von Menschen Elend, Tod und
Heimatverlust einbrachte
und auch das Ende der galiziendeutschen Siedlungsgruppenlebens im
Osten zur Folge hatte.
Die Würde erfordert es, dass wir uns vor Behandlung anderer
Tagungsthemen dieser
damaligen aufwühlenden Vorgänge erinnern, die die traurigen
Höhepunkte eines sich schon
seit Jahren zuspitzenden Konflikts zwischen dem Deutschen Reich
und der Rzeczpospolita
Polska bildeten. Sie wurden mit gegenseitigen Schuldzuweisungen,
falschen Behauptungen,
Lügen, Drohungen, Versprechungen, Säbelrasseln, Intrigen und
Gewalt geführt - Szenarien,
denen wir leider auch in unserer Zeit immer wieder dort begegnen,
wo ethnische, religiöse,
nationale, weltanschauliche, macht- oder wirtschaftspolitische
Konflikte aufeinanderprallen,
In Erinnerung gerufen sei eingangs die damalige Situation der
deutschen Minderheit in Polen
in diesem Streit. Was wussten z.B. die Galiziendeutschen vom
Deutschen Reich und den dort
lebenden Deutschen, was wussten diese von den Auslandsdeutschen
im Osten? Die
Große Itemgeneration der Galiziendeutschen bekannte sich
gesinnungsgemäß zu Österreich
und den Habsburgern, mit anderen Österreichern verband sie auch
die Abneigung zu den
Preußen, die "Piefkes" und Pickelhaubenträger. Das
Gros unserer Elterngeneration übernahm
diese Abneigung und übertrug sie später auf die uniformierten
Garden des "Dritten Reiches".
Aber sie sah sich durch den Untergang Österreichs einem
unbeliebten polnischen Staate
ausgeliefert, der sie in mannigfacher Weise drangsalierte.
Bescheiden waren ihre völkischen
und religiösen Wünsche. Sie wollten ihre deutsche Lebensart,
deutsche Sprache und Kultur
und ihre religiösen Bedürfnisse nach eigenen Vorstellungen
gestalten und pflegen. Dazu
benötigten sie eigene Einrichtungen wie Schulen, Kirchen,
kulturelle und wirtschaftliche
Organisationen sowie Persönlichkeiten ihres Volkstums und
Glaubens, die ihnen diese
Bedürfnisse befriedigten. Nur ein Teil der nach Orientierung und
Zielsetzung suchenden
Jugend richtete ihre Blicke auf das entfernte Deutschland, das
ihr über Presse und Rundfunk
Lebenssinn, Zukunftsweisung und Hoffnung versprach.
Von großer Brisanz waren jedoch die Verhältnisse in den
westpolnischen Gebieten, die
Deutschland nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg an Polen
abtreten musste. Allein in den
von Preußen an Polen abgetretenen Gebieten der polnischen
Wojewodschaften Posen und
Pommerellen lebten am Ende des Ersten Weltkrieges 1,36 Millionen
Deutsche. Diese starke
deutsche Minderheit litt schwer darunter, die Schutzfunktion des
deutschen Staates, die
Zugehörigkeit zu ihm und die deutsche Staatsbürgerschaft per
Siegerdekret verloren zu
haben. Ein großer Teil wanderte daher ins Reich aus, ein Teil
wurde auch verdrängt oder
ausgewiesen. Schließlich wird die Zahl der Deutschen in Posen,
Pommerellen und Bromberg
vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges mit nur noch 312000
beziffert. Diese noch
verbliebenen Deutschen hatten sich auf die bestehenden
Realitäten eingestellt und nahmen
dem polnischen Staat gegenüber eine loyale Haltung ein.
Die politischen Ereignisse der damaligen Zeit seien in großen
Zügen aufgezeigt: In
Fortsetzung der auch von allen Weimarer Parteien geforderten
Revision des Versailler
Vertrages betrieb Hitler zunächst deren Revisionspolitik weiter
und erreichte im Januar 1935
die Rückgliederung der Saar. Dann, nach der Wiedereinführung
der Wehrpflicht und
beginnender Aufrüstung, ließ er deutsche
Truppen im März 1936 in das entmilitarisierte
Rheinland einmarschieren, was die Westmächte trotz des
Vertragsbruchs hinnahmen.
Immer häufiger sprach Hitler fortan von der Notwendigkeit einer
Neuordnung Europas, 1938
verleibte er dem Reich die deutschsprachigen Gebiete Österreich
und Sudentenland ein,
später, Ende März 1939, auch das Memelland. Bei der
Sudentenlandkrise war es zwischen
Deutschland und Polen zu einer gewissen Zusammenarbeit gekommen,
denn auch Polen hatte
sich dabei das Olsa-Gebiet einverleibt und damit zum Komplizen
Hitlers gemacht.
Ende 1938 begann Hitler auch die Lösung der deutsch-polnischen
Frage anzugehen.
Vorrangig ging es um die Wiedereingliederung Danzigs in das
Reichsgebiet und um eine
Korridorverbindung zu Ostpreußen: Fraglos war die Abtrennung des
ostpreußischen
Reichsgebietes vom Altreich - eine Hypothek des Versailler
Vertrages - eine schwärende
Wunde, unter der Deutschland litt. Wie bereits erwähnt, hatte
auch die Weimarer Regierung
wiederholt eine Revision dieser Abtrennung, gefordert. Aus der
Sicht des Deutschen Reiches
war der Zustand absurd und auf die Dauer unerträglich, dass zwei
Teile des Reiches nur über
die Ostsee miteinander verbunden und nur auf dem Wasserwege zu
erreichen waren, wollte
man polnischen Landkontrollen entgehen. Heute findet man
Parallelen zu diesem Problem in
den ethnisch zerrissenen Teilen Jugoslawiens - und man sieht
trotz Bemühungen der ganzen
Welt erneut, wie schwierig es ist, für alle Seiten dauerhaft
tragbare Lösungen zu finden. Erst
recht galt das in der damaligen Zeit der Nationalstaaten, in der
jeder Staat nur seine eigenen
Interessen verfolgte. So herrschte in Deutschland die Meinung
vor, dass sich nur ein
schwaches Reich auf Dauer mit einem solchen Diktat abfinden darf.
Nun aber wähnte sich Hitler stark genug, diesen Zustand zu
Gunsten Deutschlands zu ändern
und zwar im Rahmen seiner Vorstellung von einer europäischen
Neuordnung. Zunächst
versuchte er in dieser Frage eine friedliche Übereinkunft mit
Polen zu erreichen.
Zu diesem Zweck wurde der polnische Außenminister Jozef Beck am
5. Januar 1939 von
Hitler mit großen Ehren empfangen. Hitler sprach die heikle
Danzig- und Korridorfrage gar
nicht an, sondern bemühte sich, Polen für eine
deutsch-polnische Interessengemeinschaft
gegenüber der Sowjetunion zu gewinnen. Wegen der sowjetischen
Gefahr, so erklärte er, sei
die Existenz eines starken Polens für Deutschland eine
Notwendigkeit. Polen solle, so sein
Wunsch, einem ostmitteleuropäischen Mächtebund beitreten und
eine Waffenbrüderschaft
mit Deutschland gegen die Sowjetunion eingehen.
Zwei Wochen später weilte der deutsche Außenminister in
Warschau und warb weiter um
eine gemeinsame antisowjetische Koalition. Aber er trug auch
Deutschlands Forderung nach
Verzicht Polens auf seine Danziger Rechte und die Einrichtung
einer exterritorialen
Autobahn- und Eisenbahnverbindung quer durch den Korridor, durch
das polnische Pomarze,
vor. In Gegenleistung sagte er zu, Polens Grenzen zu garantieren,
das Nichtangriffsabkommen
von 1934 um weitere 25 Jahre zu verlängern und durch Anschluss
der Karpato-Ukraine an
Ungarn den lang gehegten polnischen Wunsch nach einer gemeinsamen
Grenze mit Ungarn
zu realisieren.
Die Freundlichkeit Hitlers Polen gegenüber bewahrte er auch in
seiner Reichstagsrede am 30.
Januar 1939. In dieser bezeichnete sich Hitler als
"Friedensfreund" und sprach von der
deutsch-polnischen Freundschaft. Das veranlasste das
"Ostdeutsche Volksblatt in Lemberg"
vom 6. Februar 1939, diese Teile unter der Überschrift
"Freundschaft mit Polen"
herauszustellen. Gekürzt lautete die Hitler-Passage so:
"Ich aber glaube, an einen langen Frieden!". In diesen
Tagen jährt sich zum fünften Male der
Abschluss unseres Nichtangriffspaktes mit Polen. Über den Wert
dieser Vereinbarung gibt es
heute unter allen wirklichen Friedensfreunden wohl kaum eine
Meinungsverschiedenheit.
Man brauche sich nur die Frage vorzulegen, wohin vielleicht
Europa gekommen sein würde,
wenn diese wahrhaft erlösende Abmachung vor fünf Jahren
unterblieben wäre. Der große
polnische Marschall und Patriot (gemeint ist Pilsudzki) hat
seinem Volk damit einen genau so
großen Dienst erwiesen wie die nationalsozialistische
Staatsführung dem deutschen.
Auch in den unruhigen Monaten des vergangenen Jahres war die
deutsch-polnische
Freundschaft eine der beruhigsten Erscheinungen des europäischen
politischen Lebens. "
An dieser Stelle darf anhand solcher Ausführungen auf die
Schwierigkeiten unserer
Elterngeneration und des "Ostdeutschen Volksblattes"
hingewiesen werden, das wahre Wesen
des Nationalsozialismus und der Hitlerschen Reichspolitik richtig
einzuschätzen. Es kam
damals noch hinzu, dass alle anders lautenden, von der polnischen
Presse verbreitenden
Nachrichten voller Bösartigkeiten, Verleumdungen und Hetze gegen
alles Deutsche und
gegen das Deutsche Reich angefüllt waren, deshalb als unseriös
und unglaubwürdig abgelehnt
wurden und bei den Auslandsdeutschen als korrektiv ausschieden.
An welche Informationen
sollten sich bei dieser Sachlage die Deutschen im Ausland halten?
Tönten nicht aus allen
Reden der NS-Größen des Reiches unaufhörlich die Vokabel
"Frieden" und "Freundschaft",
selbst noch in der vorgenannten Reichstagsrede vom Januar 1939?
Schaut man die Untertitel
der Volksblatt-Veröffentlichung dieser Rede an, so waren es
gerade diese Vokabeln, die das
Ostdeutsche Volksblatt in Balkenüberschriften herausstellte:
"Scharfe Abrechnung mit den Kriegsschürern" oder
"Friedlicher Weg zur Blüte trotz Hass
und Verblendung ".
- Wie ein roter Faden ziehen sich die Friedens- und
Freundschaftsversicherungen durch die
NS-Reden vieler Jahre hindurch, verfehlten deshalb ihre Wirkung
unter den Deutschen im
Ausland nicht, wurden als wahr genommen und als Überschriften im
Ostdeutschen
Volklsblatt (OV) gewählt, beispielsweise:
"Deutschland will seinen Frieden"
(Hitler-Rede, 0V 04.06.1933)
"Im Innern Arbeit, nach außen Frieden, das ist Deutschlands
Programm "
(Goebbels-Rede, 0V 08.10.1933)
"Deutschlands unbedingter Friedenswille "
(Hitler-Interview, 0V 10.12.1933)
"Waffen zwischen Deutschland und Polen sollen für immer
schweigen "
(Hitler.OV04.03.1934)
"Unserer heißen Liebe zum eigenen Volk steht die Achtung
vor fremden
Völkern gegenüber"
(Frhr. von Neurath, 0V 30.09.1934»
"Neues Friedensbekenntnis unseres Führers"
(0V 03,02.1935), u.s,w.
Die jungen Redakteure des Ostdeutschen Volksblattes zogen aus
solchen Friedens- und
Freundschaftsäußerungen gutwillig humane Schlußfolgerungen,
die sich später als fatale
Irrtümer herausstellen sollten. Beispielsweise verkündeten sie
noch in der Osterausgabe vom
9. April 1939 mit Überzeugung:
..... Das nationalsozialistische Deutschland sichert allen
nichtdeutschen Staatsbürgern die
freie und ungehinderte Entfaltung im eigenvölkischen und
eigenkulturellen Sinne zu... Es
nimmt nicht in Anspruch für sich, was es nicht bereit ist, auch
anderen zu billigen. Es ist eine
Osterbotschaft an alle, die guten Willens sind
und die es ablehnen, Hass und Zwietracht unter
die Völker streuen ".
Weiche Worte der Ethik und hohen Gesinnung, aber sie entsprach
nicht dem Machtkalkül der
NS-Führung. Kaum ein Jahr später legte Himmler in seiner
"Denkschrift über die Behandlung
des Fremdvölkischen im Osten" andere, die der Gewalt
huldigende Thesen vor und begann
sie mit seinem Machtapparat umzusetzen. Sie streuten Hass und
Zwietracht unter die Völker,
und an die Stelle der im Volksblatt vorausgesagten ungehinderten
Entfaltung des
eigenvölkischen und eigenkulturellen Lebens trat die
Unterwerfung der Ostvölker zugunsten
eines deutschen Herrschaftsanspruches mit millionenfachem Leid.
Doch zurück zum Hitler-Angebot an Polen im Januar 1939:
Die polnische Regierung war zu einem solchen Übereinkommen nicht
bereit. Polen wollte
neutral bleiben und an keiner gegen die Sowjetunion gerichteten
Aktion teilnehmen, obwohl
die Regierung antikommunistisch eingestellt war. Weiterhin sah
sie sich angesichts der von
ihr selbst geschürten, aufgewühlten polnisch-nationalen
Emotionen außerstande, ihrem Volk
ein Nachgeben in der Danzig-Frage zu vermitteln. Dort hatte es
Gauleiter Fester bereits bis
Mai 1937 geschafft, von 72 Sitzen im Danziger Volkstag 49 durch
seine NS-Anhänger zu
besetzen. Beim Besuch des italienischen Außenministers Graf
Ciano in Warschau am
25. Februar 1939 kam es zu antideutschen Demonstrationen mit
Rufen "Es lebe das polnische
Danzig!" Dieser Vorfall wurde damals wie andere von der
deutschen Presse verschwiegen,
um die deutsch-polnischen Verhandlungen nicht zu gefährden.
Umgekehrt entschuldigt sich
die polnische Regierung am 27. Februar 1939 für die verschiedene
in den letzten Tagen
vorgekommene deutschfeindliche Kundgebungen.
Am 21. März 1939 erläutert Reichsaußenminister von Rippentrop
dem polnischen
Botschafter in Berlin, Lipski, nochmals die deutschen Wünsche in
der Danzig- und
Korridorfrage. Am 26. März überreicht Lipski Rippentrop ein
Memorandum seiner
Regierung, in dem Polen die gewünschte Exterritorialität des
Durchgangweges durch den
Korridor ablehnte. Damals glaubte die polnische Regierung, sie
sei stark genug, Hitlers
Forderung zurückweisen zu können
Unter anderem unterlag Polen der Fehleinschätzung, dass Hitler
ein starkes Interesse am
Bestand des polnischen Staates als Barriere gegen die Sowjetunion
haben müsse, ferner, dass
Deutschland militärisch schwach, Polen hingegen hochgerüstet
sei. Weitere Gründe für die
Ablehnung sind im britischen und französischen Einflüssen und
Zusicherungen zu suchen.
Aber gerade diese beschleunigten den Ausbruch des Krieges, denn
nun begann Hitler eine
Einkreisung des Reiches zu befürchten und entschloss sich auch
deshalb, dieser mit einem
Militärschlag zuvorzukommen. Vollkommen überrascht wurde die
polnische Politik
schließlich von der sich ab Mai 1939 abzeichnenden und bislang
für unmöglich gehaltenen
Annäherung zwischen Hitler und Stalin, die schließlich
miteinander paktierten und geheim
vereinbarten, Polen aufzuteilen. Auf jeden Fall spitzten sich in
den folgenden Wochen die
Beziehungen zwischen Deutschland und Polen in Richtung auf einen
offenen Konflikt hin zu.
Eine dramatische Zuspitzung erfuhr dieser Konflikt im März 1939,
als Hitler in Böhmen und
Mähren einmarschierte, zum ersten mal in ein nicht von deutscher
Bevölkerung majorisiertes
Gebiet- Außerdem richtete er ein vom Reich abhängiges
slowakisches Staatsbild ein, von dem
aus er Polen an seiner südlichen Flanke bedrohen konnte, -
Tatsächlich trat die Slowakei
gleich nach Ausbruch des Krieges mit der Kriegserklärung an die
Seite Deutschlands, und
vom slowakischen Territorium drangen deutsche Truppen vor allen
über den Jablunka-Paß
nach Galizien ein.
Nachdem Hitler sah, dass er auf dem
Verhandlungswege mit Polen seine politischen Ziele
nicht erreichen konnte, gab er im April der Wehrmacht den Befehl
zur Angriffsvorbereitung.
Und er verschärfte die kritische Lage am 28. April 1939 durch
Kündigung des Nichtangriffs-
paktes mit Polen bei gleichzeitiger Kündigung des
deutsch-britischen Flotten Vertrages. Darauf
reagierten die Briten am 31. März durch Abgabe einer
Garantieerklärung an Polen, der sich
zwei Wochen später Frankreich anschloss. In ganz Polen wurden
diese Erklärungen mit Be-
geisterung aufgenommen. Sie stärkten immens das
Selbstbewusstsein der polnischen Nation
und verschärften den aggressiven Ton der polnischen Medien gegen
alles Deutsche.
Wiederum wurden diese Erklärungen von Hitler nicht ernst genug
genommen, denn sie
führten nach seinem Überfall auf Polen zum Ausbruch des Zweiten
Weltkrieges.
Bei diesen politischen Polenfragen erwähnte ich bislang nicht
die Volksumfrage,. d.h. das
Schicksal der Volksdeutschen in Polen. Tatsächlich ist es
bemerkenswert, dass sie in diesem
Politpoker bislang keine wesentliche Rolle spielte. Wir, die wir
aus dieser Region stammen,
müssen daraus den geringen politischen Wert unserer Existenz in
diese
Machtauseinandersetzung zur Kenntnis nehmen. Erst nachdem Polen
Hitlers Forderungen
abgelehnt hatte, wurde die Volksumfrage auf der deutschen Seite
propagandistisch
hochgespielt. Jetzt erst wurde sie massiv als Mittel zur
Verwirklichung der politischen Ziele
Deutschtands eingesetzt. Dadurch geriet die deutsche Volksgruppe
In Polen rasch zwischen
zwei Fronten mit all ihren schlimmen und für viele dieser
Menschen katastrophalen Folgen.
Erprobt hatte Hitler diese Argumentation bereits bei der
Begründung seines Einmarsches in
die Tschechoslowakei Mitte März 1939. In seiner Proklamation an
das deutsche Volk hieß es
damals:
"Nachdem erst vor wenigen Monaten Deutschland gelungen war,
seine in geschlossenen
Siedlungsgebieten lebenden Volksgenossen dem unerträglichen
terroristischen Regime in der
Tschechoslowakei in Schutz zu nehmen, zeigten sich in den letzten
Wochen steigend erneut
gleiche Erscheinungen... Seit Sonntag finden in vielen Orten
wüste Exzesse statt, denen
nunmehr wieder zahlreiche Deutsche zum Opfer fielen. Stündlich
mehren sich die Hilferufe
der Betroffenen und Verfolgten... Es beginnt ein Strom von
Flüchtlingen von um Hab und Gut
gebrachten Menschen in das Reich zu fliehen... Um diese
Friedensbedrohung endgültig zu
beseitigen und die Voraussetzungen für die erforderliche
Neuordnung in diesem Lebensraum
zu schaffen, habe ich mich entschlossen, deutsche Truppen nach
Böhmen und Mähren
einmarschieren zu lassen..."
Und in seinem "Befehl an die Wehrmacht" heißt es zur
Begründung:
"In Böhmen und Mähren herrscht ein unerträglicher Terror
gegen deutsche
Volksgenossen..."
Nun geriet auch der Terror gegen die deutsche Volksgruppe in
Polen in die Schlagzeilen der
NS-Presse und diente fortan als Rechtfertigung für
Gewaltanwendungen des Reiches. Zuvor
soll noch darauf hingewiesen werden, dass es dem Reichsführer SS
Heinrich Himmler
gelungen war, über die 1936 eingerichtete "Volksdeutsche
Mittelstelle" (Vomi) zunehmend
Einfluss auf die deutsche Volkstumspolitik im Ausland zu gewinnen
und seine
rassenideologischen Zielvorstellungen durchzusetzen. Die Aufgabe
der Vomi hatte eigentlich
nur darin bestehen sollen, die Arbeit der vielen mit
auslandsdeutschen Detailfragen befassten
Stellen zu koordinieren- Aber der zum Chef der Volksdeutschen
Mittelstelle berufene
gewandte SS-Obergruppenführer Lorenz brachte in kurzer Zeit die
meisten dieser
Institutionen unter seine Kontrolle und baute ein mächtiges,
immer mehr die Ostpolitik des
Reiches bestimmendes Konkurenzimperium zum Auswärtigem Amt auf.
Hitler bediente sich
der ihm treu ergebenen Männer dieser SS-Organisation lieber, als
der zögernden,
seriös abwägenden Diplomaten des Außenministeriums. besonders
bei seinen Plänen, den
deutschen Machtraum zu erweitern. Dabei nahm er auch das
Kriegsrisiko in Kauf, als er mit
den Volksgruppenproblemen der Deutschen in der Tschechoslowakei
und Polen pokerte. Im
November 1938 hatte die Vomi ein Memorandum "über die
unhaltbare Lage der
Volksdeutschen in Polen und die Notwendigkeit eines Eingreifens
des Reiches zur Besserung
der Lage" ausgearbeitet- Nachdem Hitler auch von anderen
Seiten auf diese Frage
angesprochen wurde, soll er geantwortet haben, dass er nicht
beabsichtige, "sich das Verhalten
Polens gegenüber den Deutschen in Polen länger gefallen zu
lassen".
Dann sei erwähnt, dass das Reich im November 1937 mit Polen eine
Minderheitserklärung
abgeschlossen hatte, wonach beide Länder die in ihren Grenzen
lebenden Volksgruppen des
Vertragspartners Rechtsschutz sowie Rechte auf eigene Sprache,
kulturelle und kirchliche
Vereine, Schulen und kirchliches Leben garantieren. Jede
Benachteiligung politischer,
rechtlicher, wirtschaftlicher und sozialer Art hatten zu
unterbleiben. - Erkennbare
Auswirkungen für die Deutschen in Polen hatte diese Vereinbarung
aber nicht.
Am 27. Februar 1939 war in Berlin versucht worden, in
polnisch-deutschen
Regierungsverhandlungen über die "Gleichbehandlung der
Volksdeutschen in Polen" und
einige andere offene Fragen zu sprechen. Aber die Warschauer
Gesprächspartner waren nur
bereit, bei ihren untergeordneten Behörden in Polen auf die
Beachtung der Grundsätze der
vorgenannten Minderheitenerklärung hinzuweisen. In der
hochgradig angespannten
Atmosphäre wurden weitergehende deutsche Forderungen von den
polnischen Unterhändlern
zurückgewiesen.
Nun verschärfte sich in der deutschen Presse der Ton gegenüber
Polen. So erschienen in ihren
Blättern vom 26. März 1939 - erstmals seit dem Abschluss des
Freundschaftsvertrages mit
Polen im Jahre 1934 - Berichte über Verfolgung und
Misshandlungen deutscher Volksgruppen
in Polen. Fortan steigerten sich die deutschen Anklagen von Monat
zu Monat, In Polen
schrillten die Alarmglocken, denn diese Pressekampagnen waren nur
zu gut als Vorspiel zum
Einmarsch in die Tschechoslowakei bekannt. Umgekehrt tobte auf
polnischer Seite ohne
Hemmungen ein Presse- und Verleumdungskrieg gegen alles Deutsche,
eine bösartige Hetze
mit geradezu lebensgefährlichen Beschuldigungen der
Volksdeutschen wie solchen, sie seien
Spione, Saboteure, Verräter und arbeiten als "Fünfte
Kolonne" für Hitler und gegen Polen.
Dadurch geriet diese Volksgruppe ungewollt "zwischen die
Fronten", wie der Untertitel des
von Peter Aurich geschriebenen und 1985 veröffentlichten Buches
"Der deutsch-polnische
September 1939" lautet.
Was aber war nun wahr an diesen Nachrichten von den Restriktionen
gegen die Deutschen in
Polen, von den Meldungen über Inhaftierungen und Verfolgung
durch die polnische Polizei,
die Behörden und die Bevölkerung ?
Schon vor der Kündigung des Nichtangriffspaktes am 28. April
1939 hatte es polnische
Kampagnen gegen die Deutschen des Landes gegeben, vor allem in
den stark von Deutschen
besiedelten Gebieten von Posen und Pommerellen.
Aber die Deutschen blieben in Galizien nicht verschont. Schon
1938 setzte die zwangsweise
Pensionierung deutscher Eisenbahner ein, auch solcher, die ihre
Kinder in polnische Schulen
umgeschult hatten. Im Januar 1939 wurde der Wanderlehrer Hans
Reinpold verhaftet und in
das Konzentrationslager Bereza kartuska eingeliefert. Im Mal 1939
folgte ihm dorthin der
Student Erwin Thomas aus Lemberg. Die Lemberger Eltern deutscher
Kinder, die
evangelische Volksschule besuchten, wurden zum Stadtschulrat
bestellt. Er übte auf
diejenigen, die Staats- oder Kommunalangestellte waren, massiven
Druck aus, ihre Kinder
endlich in polnische Schulen einzuschreiben. Dann begann die
Zerschlagung der für die
Existenz der Galiziendeutschen so wichtigen Wirtschaftsorganen,
der Lemberger Zentrale des
Genossenschaftsverbandes. Zunächst kündigte ihr der polnische
Revisionsverband das 1935
abgeschlossene Abkommen über die Selbstverwaltung. Als erster
wurde das
Aufsichtsratsmitglied Rudolf Niemczyk unter dem Vorwurf der
Spionage verhaftet, dann
wurden am 19. August 1939 der Verbandsanwalt Rudolf Boiek
verhaftet (trotz baldiger
Befreiung starb er an den Folgen dieser bereits im Januar 1940)
und am l. September der 1.
stellvertretende Verbandsanwalt Sepp Müller. Das gleiche
Schicksal erlitten auch andere
führende Persönlichkeiten wie Dr, Ludwig Schneider, Schulrat
Rudolf Mohr und der
Vorsitzende des Verbandes deutscher Katholiken Oberlehrer Jakob
Reinpold.
Ähnliche Nachrichten von Verfolgungen und Verhaftungen sind auch
aus anderen Teilen
Galiziens bekannt und veröffentlicht, wobei auf die vielen und
ausführlichen Darstellungen
hingewiesen wird. So ist in Lillie Zöcklers Buch "Gott
hört Gebet. Das Leben Theodor
Zöcklers" nachzulesen, das die Zahl in der Stanislauser
Strafanstalt Inhaftierten Deutschen
nach dem Einsetzen der Verhaftungswelle zum Schluß 140 betrug.
Im Heimatbuch II
"Aufbruch und Neubeginn'' führt Siegmund Koimer 58 Namen
von inhaftierten Landsleuten
im Gefängnis von Kolomea an. Sepp Müller veröffentlichte dort
für die galiziendeutsche
Volksgruppe eine "Zusammenstellung der Ermordungen,
Internierungen und -
Verschleppungen" unter besonderer Berücksichtigung der in
der Bereza kartuska internierten
und führt ca., 150 Namen mit Angabe ihrer Herkunft und des
Berufstandes der Betroffenen an.
In dem "Bericht über den Todesmarsch der Neu-Sandezer"
ist geschildert, wie die
Verhaftungen bereits in der Nacht zum 29. August 1939 vorgenommen
wurden unter
Beschuldigung der Spionage und Sabotage, wie der Abtransport der
Gefangenen in Ketten
erfolgte, wie diese unterwegs von der aufgeputschten Bevölkerung
mit Steinen beworfen und
mit Knüppeln geschlagen wurden, wie die junge Lehrerin Lore Jenkner durch einen
Wachmann vor den Augen der Berichterstatterin ermordet wurde, wie
der
Gefangenentransport unterwegs durch die deutsche Luftwaffe
bombadiert wurde und anderes.
Bei diesem Transport getötet oder durch polnische
Wachmannschaften umgebracht wurden
damals allein aus Neu Sandez außer Lore Jenkner, der Student
Rudolf Jenkner, der Schüler
Alfons Bauer, Gustav Decker sen., Gustav Decker jun.,
der Lehrer Oswald Stamm
und der Kaufmann Eduard Stuber. Bei den noch zu nennenden
Verschleppungsmärschen von
Deutschen aus Posen kam auch die von 1920 bis 1929 am Lemberger
deutsch-evang.
Gymnasium tätig gewesene Germanistin Frau Dr. Hanna Bochnik ums
Leben, die später am
Posener Schiller-Gymnasiums wirkte.
Auch der Lehrer an der Volksschule von Weinbergen bei Lemberg,
Ferdinand Breyvogel
der später in die Nähe von Posen versetzt wurde - kam auf den
Verschleppungsmärschen nach
Kutno ums Leben. Ihre Namen seien stellvertretend für die vielen
anderen galiziendeutschen
Verhafteten und Ermordeten genannt.
In noch weit größerem Maße kam es zu Bedrohungen, Verhaftungen
und Ausschreitungen
aller Art in den westpolnischen Provinzen Posen und Bromberg.
Makabren Höhepunkt bildeten die später als "Bromberger
Blutsonntag" (3. September)
bezeichneten Ausschreitungen mit unzähligen Opfern zunächst
deutscher Volkszugehörigkeit,
danach polnischer Bürger der Stadt, als Folge der gleich nach
der Besetzung durchgeführten
Vergeltungsmaßnahmen, wie standrechtlichen Erschießungen,
Verhaftungen und
Aburteilungen. Auf die Problematik und Schuldfrage dieses
schrecklichen Vorfalls, der von
beiden Seiten jahrelang propagandistisch mißbraucht, mit
falschen Zahlen und
Beschuldigungen jeweils der anderen Seite vorgehalten wurde und
das deutsch-polnische
Verhältnis bis in unsere heutige Zeit hinein belastet hat, sei
hier aber nicht eingegangen,
Selbst wenn man noch ein gewisses Verständnis für emotionale
Ausbrüche aufgeputschter
Volksmassen in konfliktreichen Zeiten aufbringen bereit ist -
denn wir vernehmen Ja ähnliche
Berichte fast täglich aus den Krisenzonen der Welt von heute -
ist die von langer Hand
vorbereitete Aktion der polnischen Administration zur
Massenverhaftung seiner deutschen
Minderheit im Krisenfall scharf zu verurteilen. Der polnische
Sejm hat nämlich schon 1936
ein Gesetz über die Aufstellung geheimer sog. "schwarzen
Listen" erlassen. Anhand dieser
wurden die Polizeiorgane ermächtigt, im Konfliktfall überall im
Lande alle in den Listen
erfassten Bürger zu verhaften, ohne dass es dazu eines
richterlichen Haftbefehls bedürfe.
Ab 25. August 1939 sollten zahlreiche Deutsche, in weitaus
überwiegender Zahl staatstreue,
loyale Bürger des Landes, die ganze Härte des gegen sie
angewandten Gesetzes zu spüren
bekommen und zwar nur deswegen, weil sie sich zu einer anderen
Volkszugehörigkeit be-
kannten. Tausende der Verhafteten zählten zur deutschen
Intelligenzschicht Polens, in der
man offenkundig eine Gefahr für den Staat sah. Viele der
offenbar auch auf Grund von
Denunziationen aufgestellten Listen führten - wie die Namen der
Inhaftierten später zeigten -
sogar zur Verhaftung von solchen Personen, die nichts mit
deutschen Kreisen zu tun hatten.
Bei dieser Gelegenheit wurden auch Juden und in Galizien auch
Ukrainer inhaftiert und saßen
mit Deutschen in polnischen Gefängnissen oder im
Konzentrationslager in Bereza kartuska
ein.
Ein besonders schlimmes Kapitel stellen dabei die
Verschleppungsmärsche dar. Während die
Mehrzahl der inhaftierten aus Mittelpolen, Wolhymen und Galizien
mit der Eisenbahn in das
KZ Bereza kartuska gebracht worden ist, traf das nur für kleine
Gruppen aus dem Bereich von
Posen und Pommerellen zu. Im Bundesarchiv sind 1127 Orte in Posen
und Pommerellen
verzeichnet, aus denen kurz vor oder nach Kriegsausbruch Deutsche
inhaftiert oder
verschleppt worden sind. Sie mußten meist in Marschkolonnen in
östlicher Richtung
marschieren.
Die "Historische Kommission für Posen und das Deutschtum in
Polen" hat 41 dieser
"Verschleppungmärsche" analysiert und darüber Listen
erstellt, sie hat ferner die
Verschleppungsorte mit Angaben der Zahl der Verschleppten und der
dabei Umgekommenen
aufgelistet. Sie dokumentierte ferner Erlebnisberichte der damals
Betroffenen, dazu sei der
Verfasser, Hans Freiherr von Rosen zitiert:
"Die Behandlung auf den Märschen kann nur als unmenschlich
bezeichnet werden. Es gab so
gut wie keine Verpflegung, es gab, was noch schlimmer war, auch
kein Wasser... Marschiert
wurde teils in sengender Hitze, teils im Dunkeln, vielfach auch
auf miserablen Nebenstraßen,
durch mahlenden Sand, in tiefen Wagengleisen. Gewaltmärsche von
50 und 60 km innerhalb
von 24 Stunden waren keine Seltenheit... Torkelte jemand aus der
Reihe, so erhielt er
Schläge oder Bajonettstiche. Oft wurde wild in die Kolonnen
hineingeschossen... Jeder
schleppte sich mit letzter Kraft weiter, weil die
zurückgebliebenen erbarmungslos
niedergeschossen, meist mit dem Kolben totgeschlagen wurden...
Eine besondere
Niedertracht der Wachmannschaften bestand dann, daß sie vor dem
Passieren von
Ortschaften der Bevölkerung durch Greuelmärchen aufhetzte.
Diese ließ dann ihre Wut mit
Hacken. Forken. Latten, Steinen und Flaschen an den Wehrlosen
aus... "
Herr von Rosen stellt in seiner unter Fußnote 5 genannten
Untersuchung fest:
"Die Verantwortung für die Willkürakte, ihren Umfang und
ihre Brutalität trifft die polnische
Regierung. Sie hat eine Hetze gegen alle Deutschen lange Zeit
hindurch geduldet, ja ihr
Vorschub geleistet". Diese Verantwortung trifft auch alle
Institutionen und Personen, Die
sich daran beteiligt haben: Presse, Rundfunk, Schule und zum Teil
auch die Kirchen... Man
muß hei den Ausschreitungen der polnischen Bevölkerung sehn,
daß sich der erst
siegessicheren Menschen eine verzweifelte Wut bemächtigte, als
der vorher verächtlich
eingestufte Gegner sofort die Oberhand gewann und das der lief
verwundete Nationalstolz
nach Sündenböcken suchte und dabei wie selbstverständlich die
im eigenen Land lebenden
Deutschen der Hilfe für den Feind bezichtigte. Trotzdem dürfen
diese Erklärungen nicht von
der Wahrheit ablenken, daß zu Beginn des Krieges insgesamt etwa
15000 Volksdeutsche,
davon etwa 10000 aus Posen und Pommerellen, inhaftiert und
überwiegend ins Landesinnere
verschleppt worden sind..."
Unter den damals Verschleppten waren auch der Historiker Dr.
Richard Breyer und der Arzt
Dr. Siegfried Staemmler, der Vater von Klaus Staemmler, der sich
in der Nachkriegszeit als
Übersetzer polnischer Literatur in Deutschland verdient gemacht
hat.
Der Arzt Dr. Staemmler, der mit der Familie Zöckler bekannt war,
wurde, wie auch in dem
Buch von Helga Hirsch nachzulesen ist, "von einem polnischen
Wachmannn aus nächster
Nähe niedergeschossen". Die Geschichtsforschung geht davon
aus, daß bei diesen
Verschleppungsmärschen rd. 2200 Inhaftierte den Tod fanden. Alle
bekannt gewordenen
Toten dieses deutschen-polnischen Krisenherbstes 1939 sind in
Karteien erfaßt, sie enthalten
3841 Namen. Da aber viele Fälle nie aufgeklärt werden konnten,
ist mit einer tatsächlichen
Zahl von 4000 bis 5000 zu rechnen.
Weiter ist scharf zu verurteilen, daß der polnische Staat der
sich immer so sehr auf die
Prinzipien des Christentums berief, so brutal gegen die
evangelische Geistlichkeit vorging.
Dabei schaute die dort so einflußreiche katholische Kirche weg
oder billigte sogar diese
Maßnahmen. Es ist doch ein Unding, die tief im Glauben
verwurzelten Pastoren des
Landesverrates oder gar der Sabotage zu bezichtigen. In Stanislau
wurden verhaftet
Superintendent Dr. Zöckler, sein Sohn Pfarrer Martin Zöckler,
Pfarrer Julius Schick und die
Vikare Otto Bauer und Johann Fuhr. In Westgalizien wurden
verhaftet Senior Rudolf
Walloschke, die Pfarrer Friedrich Spieß und Siegfried Gruber und
der Vikar Oskar Daum -
diese vier Theologen wurden auch in die Bereza kartuska
transportiert. In ungleich größerer
Zahl wurden evangelische Geistliche in den westpolnischen
Gebieten interniert und auch zur
Teilnahme an den Verschleppungsmärschen gezwungen, wobei eine
erschreckend große
Anzahl von ihnen den Tod fanden. Unter den verschleppten
Theologen befand sich auch der
70jährige Posener Superintendent Arthur Rhode, der Vater von
Professor Gotthold Rhode,
und der Superintendent Julius Aßmann. Im Vorfeld hatten ab
Sommer 1939 - ich zitiere jetzt
Peter Aurich in seinem Buch - "auch polnisch-katholische
Priester in immer offener Form
"die Sache Polens" zu ihrer eigenen gemacht und von den
Kanzeln herab in den Tenor der
Kundgebungsredner gegen alles Deutsche eingestimmt; dieser Tenor
hieß jetzt nicht nur
"Wachsamkeit" und "Bereitschaft zur Verteidigung
der heiligen Güter des Volkes"
- er hieß: "Die Deutschen sind eure Feinde, die Feinde des
katholischen Polens ".
Ich begnüge mich mit dem Hinweis auf den in der Dokumentation
von Hans Freiherr von
Rosen abgedruckten Brief des damals 78jährigen Posener General
Superintendenten D. Blau
vom 17.Oktober 1939 an den in Genf lebenden Professor Dr. Adolf
Keller. In dem Brief
beschreibt D. Blau, die gegen seine Kirche gerichteten
Ausschreitungen, die Verhaftung und
Verschleppung der Pfarrer und führt aus, daß von seinen
Pfarrern sieben ermordet worden
sind und weitere sieben bis zu diesem Zeitpunkt noch vermißt
seien (alle sind namentlich in
dem Brief aufgeführt)'. Keiner der sieben Vermißten kehrte
zurück, auch sie wurden ermordet.
Dann versucht D. Blau, diese unglaublichen Vorgänge wie folgt zu
erklären:
"Man könnte fragen, woher es denn kommt, daß gerade unsere
Kirche mit unserem
Pfarrerstand so ausgesucht schwer getroffen ist. Die Erklärung
liegt dann. daß sie, ohne je
politisch tätig gewesen zu sein, die Seele unseres Volkstums
darstellte und darum
unwillkürlich Trägerin seiner Art war, darum gerade verhaßt bei den Nationalpolen, für die
polnische und katholische ebenso gleich galten wie deutsch und
evangelisch. Ich muß leider
sagen, daß an der polnischen Verdächtigung unser Kirche und der
dortige Kirchenstreit
Schuld tragen, da man dort nicht müde geworden ist, immer die
deutschen Pfarrer als
"Schrittmacher des Hitlerismus" als
"Germanisatoren" und "Landesverräter" zu
brandmarken...
Dazu kommt die unsinnige Politik der Regierung, die das Volk
systematisch daran gewöhnt
hat, in den Deutschen die Feinde zu sehen und die Eindringlinge
in das heilig polnische
Land, die beseitigt werden müßten. Da aber unsere Volksgruppe
hier fast gar keine führende
Oberschicht mehr hatte, waren die Pfarrer vor allem für die
Landgemeinden die einzigen
Führer. Und wenn man eine Herde zerstreuen will, muß man die
Hirten schlagen. "
Als letztes schwieriges Kapitel dieser Auseinandersetzungen
Polens mit deutschen
Volksgruppen spreche ich die Verpflichtung vieler deutscher
Männer an, die ja polnische
Staatsbürger waren, in der polnischen Armee zu dienen und damit
gegen Hitlers Wehrmacht
kämpfen zu müssen. 1940, nach Ende des deutsch-polnischen
Krieges, hat Dr. Kurt Lück eine
Sammlung von Taschenberichten der Betroffenen unter den Titel
"Volksdeutsche Soldaten
unter Polens Fahne" herausgegeben. Im Heimatbuch II,
"Aufbruch und Neubeginn", hat
Schulrat Jakob Enders darüber aus eigener Erfahrung geschrieben.
In dieser Lage gerieten
viele der Volksdeutschen Männer im wahrsten Sinne des Wortes
zwischen beide Fronten.
Ihre Erfahrungen waren unterschiedlich, manche kamen unbehelligt
davon. Andere wurden,
nachdem die örtlichen Kommandeure in ihnen Deutsche erkannten,
als "unsichere Elemente"
abgesondert und auch unter besondere Bewachung gestellt. Es sind
auch Fälle bekannt
geworden, in denen sie unter dem Vorwurf, Deserteure oder Spione
zu sein, erschossen
wurden. Wiederum andere kamen in den Kämpfen mit der deutschen
Wehrmacht ums Leben.
Als trauriges Beispiel dafür sei der als polnischer
Reserveleutnant eingezogene bekannte
Schulpädagoge Alfred Beyer genannt, der Vater des zu gleicher
Zeit inhaftierten Dr. Richard
Breyer.
Letzterem verdanken wir noch den Hinweis, auf eine sowjetische
Variante diesen Themas:
Unter den im Osten Polens in sowjetische Gefangenschaft geratene
ca. 230 000 polnischen
Soldaten und etwa 10000 Offizieren befanden sich ca. 1200
Soldaten deutschen Volkstums.
Die Offiziere wurden bekanntlich in die drei Lager Kozielsk,
Ostaschkow und Slarobielsk
eingewiesen und später ermordet, wofür das Synonym
"Katyn" steht. Unter den Offizieren
sollen ca. 40 deutscher Nationalität gewesen sein. Dr Breyer
beschreibt das Schicksal des
polnischen Reserveoffiziers Richard Paul Stiller aus Posen, der
sich nach der Gefangennahme
unter Berufung auf die damalige deutsch-sowjetische
Waffenbrüderschaft öffentlich zum
Deutschtum bekannte und die Hilfe der deutschen Botschaft in
Moskau anforderte, obgleich
er von seinen polnischen Kriegskameraden geächtet und des
Hochverrats bezichtigt wurde.
Bei der Räumung des Lagers in Kozielsk, deren Termin er später
genau mit 3. April bis
12. Mai 1940 angeben konnte, wurde er von den Sowjets abgesondert
und nach anderweitiger
Inhaftierung im Januar 1941 nach Deutschland abgeschoben. So war
er vielleicht der einzige
Offizier der polnischen Armee in diesem Lager, der der Ermordung
in Katyn entkam.
Warum, mag mancher fragen, erzählt er uns von diesem Leiden und
holt diese - vielen gar
nicht mehr erinnerlichen - Schrecknisse ans Licht des Tages?
Wäre es nicht besser, diese unseligen Taten, die Toten dieser
Auseinandersetzungen
baldmöglichst zu vergessen,?
Darauf ist zu antworten:
- Weil seit damals 60 Jahre vergangen sind und das Anlaß sein
sollte, des Jahres
1939 und seiner Ereignisse zu gedenken,
- weil 1939 das Schicksalsjahr der Deutschen in Polen, besonders
der verlassenen
Deutschen in Ostgalizien war, an dessen Ende sie ihre Heimat für
immer verloren und
aufhören mußten, als Volksgruppe zu bestehen,
- weil die damaligen Ereignisse Bestandteil der Geschichte
unserer Volksgruppe sind,
- weil es hierbei um Schlüsselerlebnisse in den Beziehungen
zwischen den beiden Nationen
handelt und die Nachkommen dieser Völker dafür sorgen müssen,
daß Ähnliches nie
wieder vorkommt,
- weil sich niemand aus seiner Geschichte stehlen, nur einzelne
ihm passende Abschnitte
aussuchen, andere hingegen ausblenden darf,
- weil Geschichte stets als Ganzes hingenommen werden muß, auch
mit all ihren
Schattenseiten.
Auf die Frage, ob es nicht besser wäre, die Toten ruhen zu
lassen und die "Versöhnung über
die Gräber" zu suchen, hatte einst Prof. Gotthold Rodhe wie
folgt geantwortet: Das wäre
nichts anderes als die Aufforderung, auch über die Toten von
Ausschwitz und Treplinka oder
von Katyn zu schweigen.
Versöhnung setzt Offenheit, Einsichtigkeit und die Bereitschaft
aller Betroffenen voraus,
nicht nur auf die Schuld der Gegenseite zu verweisen, sondern
sich auch mit den eigenen
Fehlern auseinanderzusetzen und daraus Lehren für die Zukunft zu
ziehen.
Dem Trugschluss, daß es stark und unbesiegbar sei, unterlag
Polen 1939. Dem gleichen
Trugschluss unterlag bald danach Deutschland, nachdem es sich vom
Sieg über Polen und von
weiteren militärischen Erfolgen blenden ließ. Beide Staaten
scheiterten an der mangelnden
Einsicht, daß jedem Tun Grenzen gesetzt sind und beständige
Zukunft nur in einem
gedeihlichen Miteinander gefunden werden kann.
Über den Verlauf des Polenkrieges will ich nichts sagen, weil
das jeden Rahmen sprengen
würde, vielleicht nur noch eine von Sepp Müllers 1947
geschriebene Anmerkung erwähnen:
"Wenn man 1939 von der Möglichkeit eines deutsch-polnischen
Kriegen sprach, so waren die
Galiziendeutschen wohl der Ansicht, daß Polen den Krieg
verlieren, aber das polnische
Militär große Schlachten schlugen und dem "Erbfeind"
äußersten Widerstand leisten würde.
Das der Feldzug schon nach 18 Tagen zu Ende war, damit hatte
niemand gerechnet. Bei
meinen Kontakten (1940) zu polnischen Menschen sah ich deshalb
deren tiefe
Niedergeschlagenheit und Resignation. Jahrelang hatte man ihnen
Polen militärische
Stärke, das Zukunftsbild von einem großpolnischen Reich vom
Baltischen zum Schwarzen
Meer vorgegaukelt - und nun war alles wie ein Kartenhaus
zusammengebrochen- Das war ein
böses Erwachen aus schönen Machtträumen. Eine deutsche
'staatsmännisch denkende und
vorausschauende Reichsführung hätte nun Gelegenheit gehabt, aus
dieser Befindlichkeit
Kapital zu schlagen. Ich bin fest davon überzeugt, daß es
möglich gewesen wäre. die
ungünstige polnische Meinung über die Deutschen zu revidieren
und den Grund zu legen für
ein künftiges gut nachbarliches Verhältnis... "
Wie bekannt, beschritt Hitler-Deutschland diesen Weg nicht.
Zunächst aber bedeutete der
rasche deutsche Vormarsch für viele inhaftierte Volksdeutsche
Polens die Befreiung aus
polnischer Haft.
Den ostwärts von San und Bug (Flüsse) lebenden Deutschen
bescherte das Kriegsende indessen eine
böse Überraschung: Unerwartet übernahm die Rote Armee die
Macht im Lande. Truppen der
Wehrmacht, die auch deutsche Kolonien in Ostgalizien erobert und
engen Kontakt zur
Dorfbevölkerung gefunden hatten, zogen sich von dort wieder
zurück - und vielfach folgte
ihnen ein Teil der deutschen Dorfjugend. Aber auch ganze
Dorfgemeinschaften schlössen
sich den westwärts ziehenden Truppenteilen an, so die der
Gemeinde Einsingen und die der
Gemeinde Ugartsberg am 25. September 1939. Manchen mag es danach
so ergangen sein
wie mir damals in Lemberg: Als Junge beobachtete ich am
Straßenrand den Einzug der Roten
Armee und durchstreifte die mit Flüchtlingen überfüllte Stadt.
Überall sah ich die durch
Bomben und Artilleriebeschuss angerichteten Schäden und somit
bereits im Kindesalter den
Schrecken und das menschliche Elend, das jeder Krieg anrichtet.
Das Schicksal des
verhafteten Vaters war ungeklärt; in unserer, von geflüchteten
Familienangehörigen
überfüllten Wohnung wurden wir bald auf ein Zimmer
zusammengedrängt, der Rest der
Wohnung für die Rote Armee beschlagnahmt. Die deutsch -
evangelische Schule
eröffnete unter Kommissaraufsicht am 6. Oktober für einige
Wochen den Schulbetrieb,
wir Schüler lernten nun auch Russisch und sangen die
Internationale... Und im übrigen
warteten wir alle darauf, daß uns Deutschland aus dieser Misere
befreit.
Das erfolgte schließlich mit der am Jahresende angelaufenen
Umsiedlung der
Galiziendeutschen ins Reich. Indessen muß nach meiner
Überzeugung gesagt werden, daß
sich das Reich allein der galizien- und wolhyniendeutschen
Volksgruppen wegen niemals die
Mühe einer solchen Umsiedlung gemacht hätte. Bis zum 26.
September 1939 gab es im
Reich überhaupt keine Umsiedlungspläne. Sie wurden nach
glaubhaften Angaben von den
sehr viel einflußreicheren Baltendeutschen ausgelöst, die an
höchsten Stellen im Reich Alarm
schlugen, als sie die Gefahr des Einmarsches der Sowjets in das
Baltikum erkannten. Sie
verlangten Schutzmaßnahmen zur Rettung gefährdeter
Baltendeutscher vor den Sowjets und
forderten das Reich auf, "bei einer Gewaltanwendung durch
die Sowjets den baltischen
Deutschen den gleichen Schutz wie den Reichsangehörigen zu
gewähren". Der damalige
Landesgruppenleiter der den Nationalsozialisten nahe stehenden
"Bewegung der Lettland-
deutschen", Erhard Kroeger, besaß gute persönliche
Beziehungen zur obersten SS-Führung
und wurde nach seinen Angaben rechtzeitig vom Einmarsch der Roten
Armee unterrichtet.
Er wurde ins Führerhauptquartier bestellt, wo ihm der
Reichsführer SS Heinrich Himmler
vortrug, "es müsse jetzt entschieden werden, welche
Entschlüsse hinsichtlich der
Baltendeutschen zu fassen seien", dabei dachte Himmler nur
an die Evakuierung gefährdeter
baltendeutscher Persönlichkeiten. Kroeger nimmt für sich in
Anspruch, bei ihm auf die
Umsiedlung der gesamten baltischen Volksgruppe gedrungen zu
haben. Himmler habe ihm
geantwortet, daß er dies Hitler vortragen würde. Am nächsten
Tag erklärte er Kroeger:
"Der Führer sei im Grundsatz mit der Evakuierung der
gesamten baltendeutschen
Bevölkerung einverstanden."
Von den Galizien- und Wolhynindeutschen war dabei nicht die Rede,
Es darf vermutet
werden, daß die Ausdehnung der "Führerentscheidung"
auf alle Volksdeutschen in den von
den Sowjets besetzten Ostgebieten dem mit der Durchführung
beauftragten, weit
vorausschauenden Staatssekretär von Weizsäcker zu verdanken
ist, der daraufhin der in
Moskau verhandelnden deutschen Delegation Weisungen "von der
Überführung von
Volksdeutschen aus dem russischen in das deutsche Gebiet und
darüber hinaus von der
Sicherung des Schicksals der Volksdeutschen in den von Rußland
etwa sonst noch
zu besetzenden Gebieten "erteilte. Jedenfalls unterzeichneten
die beiden Außenminister von
Rippentrop und Molotow am 28. September 1939 in Moskau ein
vertrauliches Protokoll,
dessen Kernsatz lautete:
"Die Regierung der UdSSR wird Persönlichkeiten deutscher
Abstammung, sofern sie den
Wunsch haben, nach Deutschland oder in die deutschen
Interessengebiete überzusiedeln,
hierzu keine Schwierigkeiten in den Weg legen".

Damit war der Weg zur Umsiedlung frei - doch das ist ein anderes,
hier nicht zu behandelndes
Kapitel. Hitler verkündete die Umsiedlung in seiner
Reichstagsrede vom 6. Oktober 1939,
aber nur in einem Nebensatz und so wenig konkret, daß die
wenigsten die Konsequenz dieser
Ankündigung verstanden haben. Noch vor Weihnachten 1939
verließen die ersten 2700
Umsiedler die Stadt Lemberg, gefolgt von 1240 Deutschen aus
Stanislau samt den
Zöcklerschen Wohltätigkeitsanstalten und ihrem
"Schöpfer" , dem Superintendenten. Eine
ergreifende Abschiedsrede hielt Prof. Dr. Dr. Hans Koch zu
Weihnachten in der evangelischen
Kirche Lemberg, Dann gingen dort, in allen deutschen Dörfern, in
tausenden
Kolonistenhäusern, Wohnungen und Einrichtungen aller Art die
Lichter der Deutschen für
immer aus.