"Ham sell i' geih, do soll i bleibn, 
meina Moutta' sell i d'Erdepfel reim" 
Zur Entstehung und Verbreitung eines Volksliedes

Quelle : Wolfram Benz

Zum Text Ist beim Lied Hans, bleib no do der junge Mann hin- und hergerissen, ob er bei seinem Schatz bleiben soll oder nicht, so ist es in diesem Fall das junge Mädchen, das eigentlich seiner Mutter beim Reiben der Kartoffeln helfen sollte. Nur im Sathmarer Hui sott i gau werden die Folgen der offenen bzw. geschlossenen Fensterläden für die männliche Jugend diskret angesprochen. Der Fantasie des Zuhörers sind wenig Grenzen gesetzt. Auch die Entscheidung des Mädchens bleibt zunächst offen, doch man wird verstehen, daß das Schwabemädle schließlich bei den Buebe bleibt.
Besonders nett der jeweilige Konjunktiv tätat und solltet (für Nichtschwaben: würden tun und sollten).

Auf keinen Fall konnte der Text des Liedes mit den ersten schwäbischen Auswanderern nach Sathmar in Nordrumänien 1712 mitgekommen sein. Denn erst 1742 hatte der Preußenkönig Friedrich II seine Bevölkerung unter Zwang mit dem neuen Nahrungsmittel aus Amerika versorgen wollen. Das Kartoffellied über Franz Drake, dem Stifter der Kartoffel, kündet erst um 184017 von der Annahme der Kartoffel: 

Gebraten schmecken sie recht gut in saurer Brüh nicht minder.
Kartoffelklöß', die essen gern die Eltern und die Kinder....

Von Stuttgart bis nach Ravensberg, von Wangen bis nach Halle,
da gibt's Kartoffeln übergnug für Mensch und Vieh im Stalle.- .....

Vom Allgäu ist um 1753 der erste Versuch bekannt, diese sonderbare Knolle dem Volk
nahezubringen, aber bei der bekannten schwäbischen Zurückhaltung dürfte es lange gedauert haben, bis sie auch in die schwäbischen, bzw. Sathmarer Küchen gekommen ist. Und man muß schon bis zu den Nackede Mariele (= Nackte Mariechen)oder Nackede Schupfnudle (= Nackte Schupfnudeln)im Kochbuch18 blättern, um zum ersten Gericht mit geriebenen Kartoffeln vorzustoßen: "Aus Mehl, den feingeriebenen Kartoffeln, unter Zugabe von Salz und Butter, wird ein Teig geknetet. Davon formt man daumengroße Nudeln, welche in der Butterschwenke gedämpft werden." Allerdings werden aus dem Bodebireteig weitere leckere Gerichte hergestellt, von denen die Kartoffelloible, die schwäbischen "Croquettes", in Ungarn als Burgonyalángos bekannt wurden.

Daß aber die Kartoffel in symbolischem Sinne noch zu deuten wäre, liegt auch durch das andere Kartoffellied nahe, bei dem die Musikanten sonst unverständlicherweise im Garten graben. Doch ist im Standardwerk19  zur Pflanzen- und Tiersymbolik bei Liedern nichts zu finden. Schließlich ist diese Pflanze noch recht jung in unserer Kultur. Allerdings werden den Erdknollen allgemein Liebeskräfte zugeschrieben, wie das von den Wurzelknollen der Knabenkräuter bekannt ist. Die Rübe im obigen schwäbischen Lied besitzt eine ähnliche zweideutige Doppelrolle im Lied, während das Kraut eine weibliche Deutung nahelegt.
 

Ein
schwäbisches
Lied?
Übersicht über die Verbreitung in Mitteleuropa

Der Alleinvertretungsanspruch aus der Sicht der Schwaben kommt allerdings erheblich ins Wanken, wenn andere Quellen und vor allem die Sammlung des Deutschen Volksliedarchivs in Freiburg zu diesem Lied herangezogen werden20. Der bisher älteste gedruckte Beleg stammt nämlich aus Thierstein in der Oberpfalz von 185321 und steht als Mundartbeispiel für das Sechsämter-Land:
 

Haim soll i' geih, dou soll i' bleibm. 
Meina Moutta soll i' d' Erdepfl reim. 
Haim geih i niat, dau blei' i' niat. 
Meina Muotta rei' i' d' Erdepfl niat. (2)

Ein noch älterer Hinweis stammt von Landgerichtspräsident a.D. Landgraf aus Bayreuth vom 7.1.19023: "In meiner Jugend, sor 60 Jahren etwa, hörte ich öfter von Freunden aus den sg. 6 Ämtern im Fichtelgebirge, speziell aus Selb (OA Rehau), Kirchenlamitz (OA Wunsiedel) etc. singen": (es folgt der hochdeutsch gefärbte, obenangeführte Vers) "Weitere hiezu gehörige Verse hörte ich niemals, und es schienen mir die 4 mitgeteilten Verse ein in sich geschlossenes Trutzlied zu bilden."22

Diesem ältesten Grundtypus steht der Mundartvers von 1898 aus Iglau23 in der südböhmischen Sprachinsel sehr nahe:

Huem sollt' i geh'n, 
da sollt' i bleib'n, 
meiner Muatter Erdäppel reib'n. - 
Huem geh i nit, 
da bleib i nit. 
Meiner Mutter Erdäppel reib i nit. (4)

Aus der Karte ist zu entnehmen, daß die zeitliche Zuordnung nach Alter der Aufzeichnungen nun nach Thüringen führt, wo die erste Aufzeichnung einer Melodie dieses Verses erfolgte. Es steht textmäßig auch für die beiden sächsischen Varianten aus Schönbrunn/Vogtland und Joachimsthal/Erzgebirge (s. rechte Spalte)

Aus Mittenwald in Oberbayern kommt das von Kurt Huber aufgezeichnete Beispiel 6. Die Kartoffel mußte hier der Kugel weichen, die mit den Kegeln durchaus einen erotischen Hintergrund abgeben kann.

Folgende Variante stammt aus Osttirol. Es wurde in der Südtiroler Schwegelwoche 1979 in Lüsen und als Abend- und Schlusslied vom Steirischen Volksliedarchiv vorgestellt mit dem Vermerk: im ganzen Alpenraum verbreitet. 

Haam geh i's nit. 
To plaib i's nit. 
Meina Muida raib i's Eateipfl nit. 
Haam geh i's nit. 
To plaib i's nit. 
Maina Muida reib i's nit.(7)25 -
 

Für die Mundartforscher dürfte auch folgendes Beispiel aus einer deutschen Sprachinsel in Galizien (Machliniec) in der heutigen Ukraine hochinteressant sein:

Drei To, drei To gäih i niet hoam; 
hoam gäih-w-i niet, dau blei-w-i niet, 
meine Mutta rei-w-i d' Erdöpfel niet. 
Äih i meina Mutta d' Erdöpfl rei(b),
löiwa gäih i am Frei. (8)27

4. Beispiel: "Schlumperlied" aus Lindenkreuz bei Hermsdorf/Thüringen, 1908

5. Beispiel: Aufgez. in Haunitz, Gem. Weigendorf, 6.7.1981 von Wolfgang A. Mayer

6. Beispiel: Aufgezeichnet von Prof. Kurt Huber. "In Mittenwald von den von den 'Hornsteiner Brüdern vorgesungen"24

Das einzige  norddeutsche "Schrumpf"-Exemplar aus Oldenburg/Holstein in reinem Platt sei noch angefügt:

Nee och nee, ick do dat ni. Ick schell min Swigermutter de Kartuffel ni.28

Melodie, Rhythmus und die Dur-Moll Frage 
 
Nun war vielleicht der Ausflug in die Kulturgeschichte der Kartoffel im Zusammenhang mit europäischer Geographie unter Berücksichtigung besonderer sprachlicher Varianten über Erdäpfel, Erdbirne, Grundbirne o.ä. und deren symbolischen Gehalt schon recht abwechslungsreich. Bei der Melodie und der harmonischen Struktur wird die Sache noch einmal recht bunt.

Als wesentlichstes Merkmal stehen alle Melodien außerhalb von Sathmar in Dur. Das wäre an sich nichts Außergewöhnliches bei Volksliedern, wenn nicht alle die verhältnismäßig jungen Textvarianten aus Sathmar in Moll gesungen würden. Das läßt den Schluß zu, daß es sich bei der Sathmarer Melodie um eine Übernahme aus der ungarischen oder rumänischen Volksmusik oder um eine ältere Weise handelt, die aus früheren Jahrhunderten stammt, als Kirchentonarten auch im Volkslied gesungen wurden und umgekehrt solche Melodien als Kirchenlieder dienten. Nach G. Habenicht ist die erste Möglichkeit weniger wahrscheinlich, da sich bei den deutschen und rumänischen Melodien zwei grundsätzliche Volksliedkonzepte gegenüberstehen. Bei dem deutschen überwiegt das zwei- oder mehrstimmige Singen in Sext- oder Sextparallelen mit strengem Taktgefüge und bevorzugtem Auftakt. Die Melodie bleibt vorwiegend in der Harmoniefolge (meist in Dur), vielfach in Dreiklangschritten als gebrochene Akkorde. Das rumänische Lied dagegen erklingt in der Regel einstimmig ohne Auftakt, wobei die reich verzierten Melodieteile in den einzelnen Strophen variieren. Ein harmonische Zuordnung ist schwierig.

Viele dieser Melodien sind sonst im deutschen Lied der Dur-Mode zum Opfer gefallen. Und gerade die Süddeutschen haben hier besonders gründlich "aufgeräumt". Eine dieser alten Moll-Melodien wurden nur in Sathmarschwaben dem jüngeren Text beigegeben. Er erhielt nur dort seine  zwei weiteren Lädele-Strophen.

Neben dem in Sathmar ruhig gestalteten Vierertakt sind fast alle anderen Varianten im
Mazurka-Rhythmus30, der manchmal auch in Ländlernähe rückt. In drei österreichischen Liedern sind Taktwechsel. Das Gehts Buama, gehma hoam aus Frauenhofen beginnt im ruhigen Vierer, um nach drei Strophen mit der Aufforderung, noch einen zu trinken als Draufgsangl in unser Hoam geh ma net in den Mazurka-Ländler-Rhythmus überzugehen. In beiden Osttiroler Melodien wechselt nach drei Takten der Dreier einmal in den Vierer, der als zweitletzter Takt noch einmal auftritt.
   

Zusammenfassung Die Vorstellung, in Sathmar hätten sich - wie auf de Galapagos-Inseln bei den Biologen die urweltlichen Tiere - besondere urtümliche, schwäbische Lieder erhalten, kann bei unserem Lied nicht vertreten werden. Hier hatte sich wohl auch Hugo Moser geirrt, als er dieses Lied zu den alten schwäbischen Volksliedern rechnete. Ideologische Gründe mögen zur damaligen Zeit des Natinalsozialismus im Dritten Reich eine Rolle gespielt haben. Die Untersuchung von Hui sott i gau ergibt eine zeitliche Differenz zwischen Text- und Melodieentstehung. Der Text mit einer Dur-Melodie wird wohl im oberfränkischen Raum entstanden sein. Unterstützt wird diese Annahme vom frühesten Nachweis des Kartoffelanbaus im nordbayrischen Raum. 1647 soll ein Bauer in Selb die ersten Kartoffeln aus Roßbach im Ascher Ländchen (Nordwestböhmen/heute Tschechien) in seinem Garten angepflanzt haben. Aus Pilgramsreuth bei Rehau wurden bereits 1648 die ersten Anbauversuche auf dem Feld mit der neuen Frucht unternommen. Ebenso kultivierte man im "Sechsämterland", dem Gebiet vom Schneeberg bis zur österreichischen Grenze, schon sehr früh die Kartoffel. Von dort aus kam sie in die nördliche Oberpfalz. Im Vogtland im südlichen Sachsen ist sie schon 1680 belegt.

Das Lied wanderte möglicherweise von der Oberpfalz in fast alle Richtungen weiter. Die Verbreitung zeigt eine gewisse Vorliebe bei den Altschwaben für diesen vieldeutigen Text und die Melodie in der Art einer Mazurka. Der Text kann durch die Soldaten in der Zeit der Donaumonarchie nach Sathmar gelangt sein. Ob fränkisch, schwäbisch oder bayrisch, kann nicht geklärt werden, da die Sathmarer als Schwaben stets eine hohen Prozentsatz ihrer LIeder mit ihrer Mundart überformten. Dort sind daneben noch insgesamt neun Lieder in Moll überliefert. Das läßt die Annahme zu, daß eine solche alte Melodie in Sathmarschwaben der bekannten Strophe beigefügt worden ist, die um eine zweite und dritte zu dem heute uns bekannten "Sathmarlied" erweitert wurde.

Anmerkungen 17 Erk, Ludwig/Böhme, Franz M.: Deutscher Liederhort, 3 Bd. , Leipzig, 1893, Nr. 657
18 Kolb, Aeg./Lidel, Leonhard: D'schwäbisch Kuche, Altusried, 1992, S. 74
19 Danckert, Werner: Symbol, Metapher, Allegorie im Lied der Völker, Bonn - Bad-Godesberg 1976
20 weitere Belege stammen aus dem Tiroler Volksliedarchiv, Innsbruck, und dem Steirischen Volksliedarchiv, Graz
21 Die deutschen Mundarten, 5. Jahrg., 1958, S.131, DVA: B 1478
22 an den Verein f. bayer. Volkskunde u. Mundartenforschung. Eins.1163; DVA159503
23 Piger, Franz Paul, Das Schnaderhüpfel in der Iglauer Sprachinsel; Zeitschr. f.österr. Vkde., 4, (1898) S. 22
24 Huber, Kurt/Kiem, Pauli: Altbayerisches Liederbuch für Jung und Alt, (1936), S. 61 nach einer Aufzeichnung von 1926, gesungen von den "Hornsteiner Brüdern" (s. Ausstellung Glennleitn, Archiv d. Bezirks Oberbayern, Bruckmühl)
25 Schneider, Manfred: Sammlung Osttirol Bd. 1, Innsbruck 1983, aus Gaimberg 
26 Thirring-Waisbecker; Irene: Volkslieder der ?eanzen; Ztschr. f. österr. Volkskunde (1915-16); 
27 Schmid, Hans: Sprachinsel und Volkstumsentwicklung in der deutschen Sprachinsel Machliniec in Ostgalicien, Münster, 1931, in: Deutschtum im Ausland, 46. Heft, S.117, DVA B 34963; (To=Tage, löiwa = lieber; am Frei = Freien)
28 DVA B 43562 
29 Habenicht, Gottfried: Spontane Zweistimmigkeit - Gedanken über eine sathmarschwäbische Liedausführung. In: Der Musikant, 1/1989 (hrsg. v. Landesmusikrat Baden-Württemberg, Karlsruhe)
30 bei den 2 Liedern aus dem Kesseltal vgl. Noddl net aso (aus dem Ries und Schwaben)
31 Ottenjann, Helmut u.a.: Die Kartoffel, Geschichte und Zukunft einer Kulturpflanze, Cloppenburg 1992