Die „Egerländer Tracht"

Heimattracht auch der

„Deutschböhmen" in Galizien

Margaretha Schön

 

 

Die Bewohner der deutschen Sprachinsel Machliniec in Ostgalizien wanderten aus dem Egerland in Böhmen- jetzt Tschechische Republik- in das Gebiet südlich von Lemberg, das zu dieser Zeit- wie ihre Heimat- zur Österreichisch- Ungarischen Monarchie gehörte, um eine neue Heimat zu finden. Ihre Sprache, ihre Sitten und die Art sich zu kleiden brachten sie mit und waren bestrebt, in der neuen Umgebung alles zu bewahren. Mein Beitrag heute soll sich mit der Kleidung, der „Egerländer Tracht" befassen.

Die Tracht ist im Gegensatz zur Mode die Kleidung einer Gruppe von Menschen, die sich auf Grund des Gebietes in dem sie Leben, ihrer Tätigkeit und der sozialen Verhältnisse zusammengehörig fühlt und sich gegenüber dem Umfeld herausheben möchte. Die Tracht ist langlebig- auch über Jahrhunderte hinweg- mit nur kleinen Änderungen in Stoff, Farbe oder Verzierung. Im Egerland wurde sie ursprünglich selbst gefertigt, oft aus den Materialien, die man auch selbst erzeugte- wie Leinen oder Leder von eigenen Tieren. Auch die Verzierungen wurden selbst gearbeitet und angebracht, z. B. durch eigene Stickerei, durch Klöppelspitzen oder durch Aufnähen von Glasperlen, Flittern oder Schnüren. Es war damit große Vielfalt möglich- natürlich immer auch im Rahmen des Geldbeutels der Familie. Es passierte also ganz gewiss nicht, dass zwei gleiche Trachtenkleider bei einem Fest oder einem Tanz auftauchten!

Man unterschied die Festtags- und die Alltagstracht. Die Festtagstracht war natürlich wertvoller und schöner und wurde gepflegt und oft an die Tochter oder an den Sohn weiter gegeben. Die Alltagstracht war zweckmäßig gestaltet, in derbem Stoff und schützend oder luftdurchlässig- den jeweiligen Arbeitsbedingungen angepasst.

Bild 1

Diese Übersicht aus der „Egerländer Trachtenfibel" von 1986, zeigt das Verbreitungsgebiet der Egerländer Tracht in Böhmen. Vom Ascher Zipfel über das Gebiet von Franzensbad-Eger, aus dem die Familie Goldscheidt nach Machliniec wanderte, dem Gebiet um Karlsbad, wo die so genannte Unterländer Tracht beheimatet war, der Luditzer Tracht, zum großen Gebiet der Südegerländer Tracht, das sich von Marienbad, Tepl über Plan, Tachau bis Haid erstreckt und aus dem die meisten Machliniecer kamen, einschließlich der Mieser Tracht, der Chodischauer Tracht mit der Stadt Staab, aus dem die Familie Vogl nach Ostgalizien kam, bis einschließlich der Bischofsteinitzer Tracht, umfasst das Gebiet der „Egerländer Tracht". Es gab keine starren Grenzen zwischen den einzelnen Bereichen und auch nur geringe Unterschiede in der Tracht.

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Egerländer Festtagstracht. Die Frauen-Festtagstracht bestand aus einem weißen „Hemmad" (der Bluse) mit weiten Armem, deren Bündchen und auch der Halsausschnitt bestickt oder mit Spitze verziert waren, einem „Leiwl" (das Mieder), das aus festem, einfarbigem Stoff genäht, abgefüttert und mit Fischbein oder Stahlspangen gestützt wurde, so dass es auch als Korsett diente. Im Gebiet von Eger war es weit ausgeschnitten und auch im Rücken schmal gehalten und dort mit einem Lebensbaum bunt bestickt. Auch der untere Rand des Leiwl‘s war bunt bestickt und es gab keine Schürzenbänder (siehe Bild 2).

Bild 2                                         Bild 3

Die Egerer Frauentracht             Die Südegerländer Frauentracht

Das 3. Bild zeigt im Unterschied dazu die Südegerländer Frauentracht, die mehrheitlich Heimattracht der Deutschböhmen um Machliniec war. Hier waren die Blusen ähnlich weit, auch bestickt oder mit Spitze verziert. Das „Leiwl" war jedoch weniger ausgeschnitten, im Rücken breiter und anders bestickt und benäht und auch die Vorderseite bunt gestaltet. Zwischen der Bluse und dem Mieder trug man ein kleines Schultertuch mit Fransen.

Wie man auf beiden Bildern sehen kann, war „da Kiedl"- besser gesagt „die Kiedl" (Röcke) ein wichtiges Element der Frauentracht im Egerland. Im Büchlein „Trachten aus dem ehemaligen Bezirk Tachau im südlichen Egerland" von Hildegard Preiß heißt es auf der Seite 39: In älterer Zeit hatten die Weibsleut in der Regel 5 Röcke an, bei Festlichkeiten wurde noch ein schwarzer oder grüner darüber gezogen" Das reicht aber nicht! In anderen Quellen wurden bis zu 16 Röcke übereinander angegeben und ich weiß von meiner Großmutter, die auch aus dem Kreis Tachau war, dass in ihrer „Lodn" (Lade) außer einem extra gestärkten „Unterziehrock" aus Leinen, 7 „gelegte" (oben und unten gebundene Röcke lagen, die zum Beispiel zum Kirchenfest auch angezogen wurden. Da man die „Kiedl" nicht maßlos aufeinander ziehen konnte, wurde ans „Leiwl" (Mieder) unten eine Rolle aus Leinen, die mit Federn, Wolle oder „Werg" (vom Kämmen der Flachsfasern) ausgestopft war - die so genannte „Leiwlwurscht" befestigt auf der die Röcke auflagen. Diese Hüftwülste sollten den in Falten gelegten Röcken einen gewissen „Stand" geben, sie schwingen lassen.

Über die Röcke trug man eine Schürze, das "Fürta". Dieses Wort ist mit „vortun" gleichzusetzen, auch wenn es anders geschrieben wird. Die Schürze war wie die Röcke in Falten gelegt und musste 2/3 des Rockes bedecken. Im Gebiet von Eger war sie in der Regel einfarbig, aus dünnem, oft schillerndem Stoff und ohne Bindebänder in der Taille geschlossen- wie bereits erwähnt- im südlichen Egerland bunt, mit langen Bändern im Rücken gebunden, wie man auf Bild 2 und 3 sehen kann.

Weiße Strümpfe, natürlich mit Muster gestrickt und schwarze Schuhe trug man an den Füßen, um 1930 auch schwarze Strümpfe im südlichen Egerland. In der kalten Jahreszeit wurden Überjacken mit langen Ärmeln, die so genannten „Schakeed" über Bluse und Leiwl gezogen und man verwendete ein größeres Tuch, das „Kupfl", das man um Kopf und Schultern legte.

 

                                            Bild 4                                                     Bild 5

                                            Überjacken und Strümpfe                      Bauerntochter in der Wintertracht im

                                             in Eger                                                  südlichen Eger

Auf dem Kopf trugen verheiratete Frauen Hauben, wie im Bild 3 zu sehen. Je nach der wirtschaftlichen Situation der Familie waren sie bestickt, benäht oder mit „Flinnerln" also mit Perlen und Blättchen bunt geschmückt. Sie hatten lange bunte Bänder.

 

Junge Mädchen verwendeten- wenn nötig- das Pleet (Schultertuch) auch für den Kopf oder trugen ein Kopftuch.

Vielfältig gestaltete Trachtenschmuckketten vervollständigen die Egerländer Frauentracht, wie die folgenden Bilder zeigen.

 

Eghalanda Gmoin

Die Egerland- Jugend im Bund der Eghalanda Gmoin e.V. (BdEG) ist die Jugendorganisation der 1945/46 aus dem Egerland vertriebenen Sudetendeutschen)

 

Die Egerländer Männertracht

Wie schon erwähnt, verwendete man für die Anfertigung der Tracht selbst erzeugte Produkte. So wurden die Kniehosen (auch Pumphosen genannt) der Egerländer Tracht aus schwarz gefärbtem Ziegen-, Schaf-, Kalbs- oder Hirschleder gefertigt. Die jungen Männer trugen sie aus ungefärbtem, deshalb gelbem Leder. Sie wurden an den Nähten durch Absteppen verziert und an den Knien über den weißen Strümpfen mit dünnen Lederriemen gebunden. Der Hosenbund wurde im Gebiet von Eger mit einem großen, verzierten Bronzeknopf in der Mitte und links und rechts zwei kleineren Knöpfen benäht- den „Huasnantoutaran" (an die Hose tun). An diese Knöpfe wurden später die Hosenträger und der Brustlatz geknöpft. In den südlichen Gebieten wurde die Hose durch einen Gürtel gehalten. Vorne hatte sie in allen Gebieten einen breiten, herab klappbaren Deckel „s" Housntürl", erst später einen Schlitz mit Knöpfen.

Das „Hemmad" (Hemd) fertigte man für den gewöhnlichen Gebrauch aus selbst erzeugtem Leinen, nur für besondere Feste aus feiner, gekaufter Leinwand. Am Hals war es kragenlos mit einem Bändchen gebunden, später auch geknöpft. Um den Hals trug man ein schwarzes Halstuch.

S‘ Leiwl (Die Weste) war bis zum Hals geschlossen, aus Tuch gefertigt und manchmal gefüttert 16-25 Knöpfe, zweireihig, schlossen das Leiwl. Die Uhr im „Leiwltaschl", mit langer Kette im Knopfloch, verzierten die Weste.

 

 

Der kurze Männerrock (auf Bild 11 zu sehen) wurde auch „Goller genannt. Er war immer geflittert, die Ränder und Taschen andersfarbig paspeliert und hatte viele runde Knöpfe.

Einen langen Mantel, den „Schwenker", durften nur verheiratete Männer tragen.

Als Kopfbedeckung trugen ledige Männer eine Mütze aus Samt und Iltisfell, die „Bolgmutzen" (Iltisbalg), die verheirateten Männer runde schwarze Filzhüte, die in den einzelnen Gegenden unterschiedlich geschmückt waren. Zum Beispiel in Plan an Stelle eines Hutbandes eine Schnur mit Quaste. Zu Hause oder im Wirtshaus trugen die Männer grüne oder braune Käppchen als Kopfbedeckung, das „Vetternkappl".

Weiße, in Muster gestrickte Strümpfe und schwarze Schuhe vervollständigten die Männertracht. Trug man im Winter schwarze hohe Stiefel, musste zwischen Stiefel und Hose noch ein Stückchen vom weißen Strumpf zu sehen sein.

Durch meine Verwandten, die bis 1946 im Egerland wohnten, weiß ich, dass die Frauentracht bis einschließlich 2. Weltkrieg, also bis 1945 selbstverständlich an Sonn- und Festtagen getragen wurde und ich konnte auch für diese Arbeit Fotografien meiner Angehörigen in der Tracht verwenden. Die Tracht der Egerländer Männer, wurde nach dem 1. Weltkrieg schrittweise durch modische

Anzüge ersetzt und es sind nur wenige Bilder erhalten. Ich möchte deshalb noch ein Bild aus der „Egerländer Trachtenfibel" anschließen, das auch die Männertracht zeigt.

 

 

Die Rolle der Tracht bei den „Deutschböhmen" im Gebiet von Machliniec in Galizien

In der Zeit von 1820 bis etwa 1840 wanderten unsere Vorfahren aus dem Egerland in das Gebiet südlich von Lemberg. Es waren zweite oder später geborene Kinder, die sich um eine neue Heimat bemühen mussten, die vom vorhandenem kleinen Hof im Egerland oder auf Grund der Einstellung des Bergbaus und der Glas-Industrie in diesem Gebiet, dort nicht mehr leben konnten. Es ist also unwahrscheinlich, dass alle eine vorher beschriebene vollständige Festtagstracht besaßen und sie mitbringen konnten. Alle hatten aber die Alltagstracht und bestimmte Teile der Sonntagstracht, die in ihrer Familie besonders beliebt waren. Wie wir aber wissen, wurden die für den neuen Anfang gegebenen Versprechen im Gebiet von Machliniec nicht eingehalten. Die Egerländer bekamen keine fertigen Felder und Hutweiden, sie mussten erst den Urwald roden, um bestellbares Land zu erhalten! Alle Einwanderer hatten also in den ersten Jahren schwerste Arbeit zu verrichten, die sich natürlich auch im Verbrauch der Kleidung widerspiegelte. Vielleicht musste auch manch ein Kleidungsstück der mitgebrachten Tracht eingesetzt werden, um unbedingt notwendige Lebensmittel für die Familie zu erhalten. Es ist deshalb bewundernswert, wie die Frauen nach der ersten, ganz schweren Zeit in der neuen Heimat versuchten, an den Winterabenden die Tracht zu erneuern. Details waren genau so im Gedächtnis geblieben, wie die mundartlichen Namen für die Teile der Tracht. Die in der alten Heimat beliebten „Rockerstubn" wurden wieder belebt und man half sich gegenseitig beim Herstellen der Hauben und Nähen und Besticken der Leiwln. Schwierigkeiten gab es jedoch bei der Beschaffung des richtigen Stoffes und der Winter reichte nicht zur Anfertigung. Natürlich war es auch ein finanzielles Problem für einige Familien.

 

 

Um 1905 bekam Machliniec einen deutschsprachigen Pfarrer Bernhard Klein. Sein Vater war Deutscher, die Mutter Polin. Er setzte sich anfangs sehr für die Erhaltung des Deutschtums ein und interessierte sich auch für die Kleidung seiner Pfarrkinder. Vor allem sollten die jungen Frauen und Mädchen eine „schickliche" Kleidung tragen. Gemeinsam mit dem Schneidermeister Josef Weiß aus Machliniec entwarfen sie- mit Hilfe einer Wiener Modezeitschrift- eine „sittsame" Mädchen- und Frauentracht.

Die Männer der „Deutschböhmen" im Gebiet von Machliniec, vor allem die „Wirte" (Bauern) ließen sich bereits um 1900 „an Oazuch" (Anzug) nähen und trugen „a Hemmad und a Krawattla" dazu. Für die Arbeit war bis 1940, bis zur Rückkehr in den deutschsprachigen Raum, ein selbst gefertigtes Leinenhemd ohne Kragen beliebt und auch das Leiwl, die Weste.

Die „Deutschböhmen" bewahrten in den 120 Jahren ihres Lebens in Ostgalizien nicht nur ihre Sitten und Bräuche aus der Heimat im Egerland. Sie behielten auch ihre Sprache. So ist bei unseren älteren Leuten heute noch der Frauenrock da Kiedl, die Jacke ein Schakeed, ein kleines Schultertuch ein Pleed, ein großes das Kupfl und die Schürze das Fürta, sowie die kurze Jacke das Goller und das Leiwl das Mieder bzw. die Weste- um nur einige Beispiele zu nennen. Erst jetzt nach dem 2. Weltkrieg, nachdem alle Egerländer in der Welt verstreut leben müssen, werden die alte Kultur und die Sprache nicht mehr an die nächste Generation weiter gegeben.

 

Quellen:

1. „Egerländer Trachtenfibel" herausgegeben von der Egerland- Jugend 1986

Bild 1, 2, 3, 4, 6, 8, 10, 11, 13

2. Schriften der Tachauer Heimatgeschichte Band 5- Trachten von Hildegard Preiß

Bild 12

3. „Heimat Galizien im Bild", herausgegeben vom Hilfskomitee der Galiziendeutschen 1983,

Bild 14, 15, 17, 18

4. Zeitweiser der Galiziendeutschen 1964, Artikel von Johann Bill,

Seite 55-60, Bild 16

5. Zeitweiser der Galiziendeutschen 2007, Artikel von Josef Köstler,

Seite 88-102

Alle übrigen Bilder sind Eigentum der Verfasserin